Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
aufgehen. Die Pitar waren gewiss mit allerlei modernen Suchgeräten ausgestattet, trotzdem sah Mallory keinen Grund darin, ihnen die Suche unnötig zu erleichtern, indem er ihnen sein Boot unverhohlen zeigte. Er konnte nichts tun, um die Antriebsemission des Rettungsboots beim Start zu kaschieren. Die Zündung würde laut sein und der Triebwerksstrahl hell, aber nur, bis das Boot Fluchtgeschwindigkeit erreichte. Sobald das der Fall wäre, würde Mallory es riskieren müssen, den Antrieb abzuschalten.
Bei der Überprüfung der Wetterdaten stellte er fest, dass im Nordwesten ein kleiner Sturm aufzog. Am besten wären für ihn ein paar schwere Gewitter oder ein Hurrikan. Alles, was ihm dabei helfen würde, seinen Start zu kaschieren. Doch er würde sich wohl mit dem mäßigen Sturm und Regen zufrieden geben müssen. Er programmierte das aufrollbare Dach seiner Werkstatt und die Navigationssysteme, zog seine Sicherheitsgurte so straff, wie er es verkraften konnte, und wartete.
Selbst wenn die Pitar seinen Start bemerkten, könnten sie das senkrecht aufsteigende Rettungsboot nicht abfangen - höchstens mit einem Shuttle, der zufällig in der unmittelbaren Nähe wäre. Nicht dass das einen Unterschied machte. Sobald Mallorys Boot antriebslos durchs All glitte, könnte jeder Shuttle im Orbit es entdecken und zur Strecke bringen. Das Gleiche galt für ein Kriegsschiff - es sei denn, er hätte extremes Glück, dann müsste das Schiff sich vielleicht zuerst kurz orientieren, ehe es ihn vernichtete. Nun, wenigstens würde er einigen der Invasoren lästig werden, wenn auch nur kurz.
Vielleicht würden die Pitar aber auch sein Boot analysieren und erkennen, dass es nicht plusraumtauglich war; dann würden sie womöglich beschließen, ihn einfach ziellos durch den weiten Raum treiben zu lassen, bis ihm die Atemluft ausginge. Mallory vermutete jedoch, dass er darauf gar nicht zu hoffen brauchte. Nachdem er gesehen hatte, wie gründlich die Pitar vorgingen, rechnete er nicht damit, dass sie jemanden am Leben ließen - nicht einmal eine einsame Seele, die zwischen den Welten triebe, ohne Hoffnung, je wieder auf einer davon zu landen. Vielleicht würde jemand diese arme Seele finden, und das durften die Pitar keinesfalls zulassen.
Trotzdem musste Mallory es versuchen. Alles wäre besser, als einfach nur dazusitzen und darauf zu warten, dass der Tod an die Tür klopfte. Er würde sich wehren, und zwar so lange wie möglich.
Eine angenehme weibliche Stimme verkündete, dass der Start unmittelbar bevorstand. Mit der Umprogrammierung der nüchternen, geschäftsmäßigen Computerstimme hatte er sich besondere Mühe gegeben. Jetzt war er darüber froh. Vielleicht würde es die letzte Stimme sein, die er außer seiner eigenen je wieder zu hören bekäme. Ein lautes Heulen zerriss die Luft, und das Cockpit rings um ihn herum begann zu vibrieren. Das Boot hatte kein Sichtfenster, doch zeigte der vordere Bildschirm an, dass sich das Dach der Werkstatt teilte wie zwei flache, völlig glatte Hände. Dahinter kam der schwarze Nachthimmel Treetrunks mit seinen zahlreichen Sternen zum Vorschein. Das Heulen wurde immer unerträglicher, wohingegen die Vibration in Mallorys Sitz und Gurtwerk beinahe beruhigend wirkte. Eine letzte Massage, dachte er. Die fürsorgliche Aufmerksamkeit eines mechanischen Leichenbestatters.
Etwas drückte ihm fest gegen den Brustkorb, und er keuchte heftig. Die zurückweichenden Dachelemente verschwanden, und die Sterne rotierten wild. Innerhalb von Minuten drang er in dunkle Wolken ein - der Sturm, der seine Regenlast auf den Wald im Nordwesten niedergehen ließ. Kurz darauf durchbrach Mallorys Rettungsboot die Wolkenschicht wie eine Faust, die durch Füllmaterial schlägt, und sein einziger Passagier stellte fest, dass sich die Sterne bis zur Unzählbarkeit vervielfacht hatten. Der Druck auf seinen Brustkorb ließ nach, als ob die Hand, die ihn in den Himmel schob, immer mehr an Kraft verlor. Kleine, unzureichend verstaute Gegenstände begannen, durchs Cockpit zu schweben. Mallory verspürte ein flaues Gefühl im Magen, und sein Innenohr meldete seinem Gehirn unentwegt, dass er falle. Und so war es auch: Er fiel nach oben.
Er hatte Treetrunks Anziehungskraft überwunden, lebte noch immer, und sein Rettungsboot war nach wie vor intakt. Er schnallte sich los und warf rasch einen prüfenden Blick auf die Instrumente. Das Rettungsboot, darauf programmiert, automatisch auf Kurs zum nächstbesten Helfer zu gehen, suchte
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