Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
Mallory schloss die Augen und ließ sich tiefer in die Kissen sacken.
Tse, die den Maschinen nicht traute, fühlte ihm den Puls. »Das reicht. Er ist praktisch gerade erst aus dem Koma erwacht, und das hier ist viel zu anstrengend für ihn!«
Chimbu erhob sich. »Schwester Tse hat Recht. Wir sollten jetzt gehen, damit der Patient sich etwas ausruhen kann.«
»Wann können wir wieder mit ihm sprechen?« Trotz seiner berufsbedingten Skepsis lag Rothenburg etwas an der Gesundheit des Patienten.
»Nicht vor morgen.« Mit väterlicher Entschlossenheit machte Chimbu sich daran, alle aus dem Raum zu drängen. »Wenn Sie schon glauben, dass unser Patient geistig verwirrt ist, gestatten Sie ihm wenigstens, sich auszuruhen. Wenn er sich noch etwas erholt und nichts dagegen hat, können wir’s morgen noch einmal probieren.«
»Vielleicht fällt ihm ja noch etwas ein, wenn er sich noch ein wenig ausgeruht hat«, murmelte Rothenburg, als er auf den Korridor hinaustrat.
»Zum Beispiel, wer das Blutbad auf Treetrunk angerichtet hat?« Nadurovina folgte ihrem Kollegen den Korridor entlang.
»Dann glauben Sie ihm seine Geschichte also nicht?« Abwesend erwiderte Rothenburg den Gruß der beiden Wachtposten, die am Ende des Korridors standen.
»Ich weiß es nicht. Die Pitar gewissenlose Schlächter? Und das aus einem derart obskuren Grund? Einem Grund, der ohne weiteres auf ein unglückliches oder verdrängtes sexuelles Erlebnis zurückzuführen ist, das der Patient in seiner Kindheit hatte? Ich konnte zwar nichts dergleichen in seiner Akte finden, aber das heißt ja nicht, dass er nicht unter solchen traumatischen Erinnerungen leidet.« Im Lift angekommen, traten sie von der Tür zurück, die sich sanft schloss. »Und es heißt nicht, dass er nicht die Wahrheit sagt. Nach wie vor lautet die entscheidende Frage: Entspricht seine Geschichte tatsächlich der Wahrheit, oder glaubt unser traumatisierter Patient das nur?«
Rothenburg dachte einen Augenblick lang nach. »Als Burriyip vorhin meinte, dass unsere Regierung die Pitar unmöglich darauf ansprechen kann, hat er das völlig ernst gemeint.«
»Ich weiß. Wir können sie auch nicht darauf ansprechen. Nicht ohne ausdrückliche Anweisung von oben - und die werden wir wohl kaum bekommen. Schon seit der ersten Begegnung mit den Pitar sind die Menschen fasziniert von ihnen.«
Rothenburg nickte wissend. »Meine Frau hat zwei Kleiderkombinationen, die der pitarischen Mode nachempfunden sind. Sie hält schon allein den Gedanken für absolut lächerlich, dass die Pitar auch nur einen einzigen Menschen töten könnten, geschweige denn hunderttausende. Wenn wir die Pitar in irgendeiner Weise beschuldigen, sitzen wir im nächsten Moment in einem politischen Tollhaus. Dann wird so manche Karriere ruiniert oder zumindest zum Stillstand gebracht. Unter diesem Blickwinkel hat Burriyip nicht untertrieben, was den Ernst der Lage angeht. Eine solche Anschuldigung könnte durchaus die Regierung zu Fall bringen.«
»Das sehe ich auch so. Weder die Regierung noch das Militär kann die Pitar direkt mit der Geschichte konfrontieren. Aberjemand anderes kann es.«
»Jemand anderes?« Rothenburgs Unsicherheit spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. »Wer sonst könnte …?« Er unterbrach sich mitten im Satz. »Sie denken doch nicht etwa an das, woran ich gerade denke?«
Nadurovina lächelte nicht. Ihre Haltung war so tadellos wie ihre Logik. »Seien Sie mal ehrlich, Erhard: Haben Sie noch nie das Verlangen verspürt, einmal in Ihrem Leben eine Million Kredits auf einen einzigen Würfelwurf oder auf eine Drehung der Zukunftskugel zu setzen, wie in diesen 3-D-Shows?«
Sie traten aus dem Lift in einen Hauptkorridor, in dem Krankenschwestern, Medizintechniker, Ärzte und Hilfspersonal unterwegs waren. Die beiden uniformierten Offiziere waren inzwischen zu einem vertrauten Anblick geworden und erregten daher kaum noch Aufsehen.
»Wir könnten ihn verlieren«, warnte Rothenburg sie. »Der Schock könnte zu viel für ihn sein, auch wenn die Pitar nur in seiner Vorstellung etwas mit der Sache zu tun haben.
Die menschliche Fantasie kann so tödlich sein wie die Realität.«
»Ich spreche mit Chimbu darüber. Medikamente und Spezialisten werden in einem Nebenraum bereitstehen, ständig in Bereitschaft.«
»Was ist mit den Pitar? Wieso glauben Sie, dass sich einer von ihnen mit ihm treffen wird?«
Der Mund des Colonels zuckte. »Wie könnten sie das ablehnen? Mitfühlend und freundlich wie sie sind,
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