Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
Irgendwie war es dem jähzornigen Techniker gelungen, mit dem Rettungsboot abzuheben, ohne gleich bei der Zündung zu explodieren, und dann hatte er das klapprige Gefährt sogar noch bis auf Fluchtgeschwindigkeit gebracht. Rothenburg wusste, ohne die veralteten Navigationsinstrumente, die das Rettungsboot automatisch auf Kurs zu einem sicheren Ziel brachten, wäre es lautlos ins All getrieben, und man hätte nie wieder von ihm gehört.
Stattdessen hatte ein glücklicher Zufall dazu geführt, dass einige freimütige Außerirdische es fanden und den Piloten wieder zu seinem Volk zurückbrachten. Die darauf folgenden Ereignisse hatten eine Reihe unglaublicher Zusammentreffen ausgelöst, die ihren Höhepunkt darin fanden, dass Rothenburgs Schiffe unweit des winzigen Mondes von Treetrunk aus dem Plusraum gesprungen waren - der schlagkräftigste Schiffsverband, den dieser Weltraumsektor je gesehen hatte. Die ganze Geschichte war kaum zu glauben.
Rothenburg indes glaubte sie, und er wusste, dass der gleiche Pilot schon bald an den Schauplatz seines Leidens und seiner Traumatisierung zurückkehren würde. Sämdiche Medizintechnik, die die menschliche Wissenschaft hervorzubringen vermochte, kam bei der Behandlung dieses einzelnen Menschen zum Einsatz, damit er nicht wieder dem Wahnsinn anheim fiele. Gleichwohl wusste Rothenburg, dass man sich nie sicher sein konnte. Selbst die klügsten Köpfe und besten Techniken konnten nichtgarantieren, dass Alwyn Mallory beim Betreten von Treetrunk Eins nicht doch wieder Amok laufen, in ein Koma fallen oder irgendeine andere Reaktion zeigen würde, die Rothenburg, Nadurovina und alle Beteiligten ein klein wenig in den Wahnsinn trieb.
Sie konnten nur hoffen, ihr Bestes geben und den Diensten einer gewöhnlichen Krankenschwester mit einer eher geringen Berufserfahrung mehr vertrauen, als ihnen lieb war.
Wie so oft in solchen Lebenslagen entwickelten sich die Ereignisse in eine Richtung, die nicht einmal die erfahrensten Analysten vorhergesehen hatten. Mallory ließ es ohne Jammern oder Zögern zu, dass man ihm einen Raumanzug anlegte, scherzte sogar währenddessen und half nach Kräften mit. Während sich alle auf den unentbehrlichen Patienten konzentrierten, achtete niemand darauf, wie es seiner persönlichen Pflegerin ging. Irene Tse hatte noch nie zuvor einen Raumanzug getragen, geschweige denn einen Weltraumspaziergang unternommen, und nun steigerte sie sich rasch in einen annähernd hysterischen Zustand hinein.
Auf Mallory hatte das eine unvorhergesehen heilsame Wirkung. Anstatt sich um sich selbst zu kümmern, verbrachte er die letzten Momente vor dem Ausstieg damit, seine Krankenschwester zu trösten und zu beruhigen. Erst als er davon überzeugt war, dass sie sich halbwegs wohl fühlte, gingen beide an Bord des Reparaturschiffs, das sie von dem riesigen Dreadnought zur Oberfläche des winzigen Monds bringen würde. Dieses Mal war Mallory derjenige, der ihr beruhigend die Hand hielt.
Sie waren nicht allein. Eine kleine Flottille aus bewaffneten Beibooten, Reparaturschiffen und anderen Schiffen erwartete sie wie ein Schwarm aus leuchtenden Bienen, die rings um ihren dunkel gesprenkelten Bienenstock schwebten. Den Piloten der Schiffe war befohlen worden, unverzüglich alle Anweisungen Mallorys zu befolgen (nachdem entweder Major Rothenburg die Anweisungen abgesegnet hätte oder einer der beiden ausführlich eingewiesenen Lieutenants, die ihm assistierten).
Nach wie vor behielten sie Rothenburgs Plan im Hinterkopf, unter Umständen den Mond auseinander zu nehmen, um die Datenspeichersphäre zu finden. Grundsätzlich war das Unterfangen riskant. Wühlte man die Mondoberfläche auf, könnte der unschätzbar wertvolle Datenträger dabei nur allzu leicht für immer begraben werden. Oder schlimmer noch: Er könnte aufgrund der ausgesprochen niedrigen Gravitation ins All hinaustreiben. Daher behielten alle Schiffe den ihnen zugewiesenen Sicherheitsabstand zum Mond ein. Nur ein einziges Reparaturschiff sank, ausgesprochen vorsichtig, zur Oberfläche hinab.
Indes landete es nicht. Es schwebte direkt über der zerklüfteten, abgetragenen Oberfläche und korrigierte so lange seine Position, bis es sich laut Computer exakt auf denselben Koordinaten befand wie zuvor Mallorys Rettungsboot. Sogar seine Nord-Süd-Achse war entsprechend ausgerichtet. Wenn Mallory nun das Schiff verließe, müsste er theoretisch die Umgebung wieder erkennen und seine Schritte zu der Stelle zurückverfolgen
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