Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
begegnete ihr mit einer Art von mütterlicher Fürsorge, die sie aber gut vor jedem anderen, auch vor Tse verbarg. Nichts durfte ihre professionelle Zusammenarbeit beeinträchtigen.
»Ich wünschte, ich hätte Ihre Zuversicht. Das ist eine sehr kostspielige kleine Exkursion. Uns bleibt natürlich nichts anderes übrig, als den einzigen Hinweis zu verfolgen, den wir haben. Dem Weltrat ist das bewusst. Trotzdem hat er die Eskorte, auf der Rothenburg bestand, nur zögerlich genehmigt. Aber Rothenburg wollte Mallory nicht ohne diese Schiffe in den Weltraum mitnehmen.«
»Major Rothenburg fürchtet sich davor, dass die Pitar irgendwas versuchen könnten, stimmt’s?«
»Er will nur vorbereitet sein. Das liegt in seiner Natur. Eine vollendete Alpha-Persönlichkeit.«
»Ich möchte natürlich, dass Alwyn die Datenspeichersphäre findet«, murmelte Tse, »und zwar hauptsächlich, damit er beweisen kann, dass er von Anfang an die Wahrheit gesagt hat.«
Nadurovina war ein wenig verblüfft. »Ach, ja? Gar nicht, damit die Mörder der sechshunderttausend ihre gerechte Strafe bekommen?«
Tse zögerte kurz. »Wenn Alwyn beweisen kann, dass die Pitar tatsächlich all die schrecklichen Dinge getan haben, von denen er berichtet, bedeutet das Krieg, nicht wahr?«
Die Psychiaterin nickte bedächtig. »Man braucht keinen höheren Abschluss als Psychiater, um sich den Wutausbruch auszumalen, der dieser Enthüllung folgen dürfte. Ich nehme an, dass die Menschheit mit radikaler Gewalt reagieren wird, um ihr atavistisches Bedürfnis nach Rache zu befriedigen. Welches Ausmaß der anschließende Konflikt hätte, müsste natürlich erst noch entschieden werden.«
Tse machte einen unglücklichen Eindruck. »Kann man interstellare Kriege denn überhaupt einschränken?«
»In solchen Dingen haben wir keine Erfahrung, aber wenn man den Thranx glauben kann, tragen sie genau so einen Konflikt schon seit über zweihundertfünfzig Jahren mit den AAnn aus. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass in unserem Fall eine derart zeitaufwändige Auseinandersetzung folgen würde.« Sie wirkte nachdenklich. »Wir sind nicht so geduldig oder nachsichtig wie die Thranx. Dass die Thranx es sind, geht jedenfalls aus der einschlägigen Literatur hervor. Ich selbst bin noch nie einem der Käfer begegnet. Irgendwann möchte ich das aber mal.«
»Ich nicht«, entgegnete Tse im Brustton der Überzeugung. »Es ist mir egal, wie intelligent sie sind. Jedes Mal, wenn ich einen Thranx sehe, erinnert er mich daran, dass ich mich einmal auf der Suche nach Süßigkeiten in die Küche meiner Mutter geschlichen habe und ein Haufen Kakerlaken über mich hergefallen ist. Ich hab mir noch Tage später die Haare gewaschen.«
»Die Thranx sehen nicht wie Kakerlaken aus. Haben Sie denn nicht die 3-Ds gesehen? Eherwie Gottesanbeterinnen.«
»Ich mag sie trotzdem nicht.« Tse rückte mit dem Stuhl vom Tisch ab. »Ich mag nichts, was mit mehreren Mundwerkzeugen isst oder Facettenaugen hat oder auf mehr als vier Beinen läuft.«
»Sie haben eine Phobie. Das überrascht mich. Eine Frau mit Ihrer wissenschaftlichen Ausbildung!«
»Ich bin nicht perfekt«, wandte Tse ein. »Jeder fürchtet sich vor etwas. Major Rothenburg fürchtet sich davor, nicht alles ordentlich organisiert zu haben. Dr. Chimbu fürchtet sich davor, einen Patienten zu verlieren. Sie fürchten sich davor, dass Alwyn wieder durchdrehen könnte.«
»Und Alwyn Mallory fürchtet sich vor den Pitar«, schloss die Psychiaterin.
»Nein. Da irren Sie sich.« Nicht der leiseste Hauch von Zweifel schwang in der Stimme der Krankenschwester mit. »Alwyn fürchtet sich nicht vor den Pitar. Er hasst sie. Wovor er sich fürchtet, das ist er selbst.«
Auf der Kommandobrücke, auf der Rothenburg stand und aus dem Sichtfenster blickte, herrschte stets disziplinierte Geschäftigkeit. Mallory hatte recht, dachte er. Treetrunk Eins ist kein beeindruckender Mond. Leicht zu übersehen, wurde der Mond kaum seiner astronomischen Bezeichnung gerecht. Er erinnerte Rothenburg eher an einen Asteroiden denn an einen Mond. Dennoch war er groß genug, dass sich ein kleines Raumschiff hinter ihm verbergen konnte. Und ein Rettungsboot erst recht.
Rothenburg hatte die 3-Ds von dem winzigen Schiff gesehen, mit dem Mallory vor dem Völkermord auf Treetrunk geflohen war. Auf den ersten Blick hatte er das Innere des Rettungsboots als unbewohnbar empfunden. Das Außere des Boots hatte einen noch schlimmeren Eindruck gemacht.
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