Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
in ihren Rekorder zu murmeln.
Derwent hatte den oberen Stock bereits komplett aufgezeichnet. Zum Zeitpunkt des Angriffs hatten vier Gäste in dem Gasthof gewohnt. Außer der Familie des Inhabers war auch noch ein zweites Paar, offenbar Angestellte, im Haus gewesen. Die Zahl der Toten passte zu den Unterlagen, die ein Suchtrupp in der nächstgelegenen Stadt aufgetan hatte; nur eine Frau fehlte, eine gewisse Sithwa Pirivi, zwanzig Jahre alt. Ihre Leiche hatte man bislang nicht gefunden. Das hatte nichts zu bedeuten, wie Derwent wusste. Die junge Frau hätte zum Zeitpunkt des Angriffs überall sein können: Freunde besuchen, in der Stadt einkaufen oder schlicht wandern. In diesem Fall wäre sie an Ort und Stelle getötet worden und nicht in der Nähe des Gasthofs, in dem sie arbeitete. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Lücken in den Aufzeichnungen von Treetrunks ausgerotteter Population geschlossen wären. Menschen zogen umher, sowohl in ihrer Freizeit als auch aus beruflichen Gründen, und sie starben nicht immer dort, wo sie wohnten.
Die Aufgabe, Unmengen an verwesenden Toten zu registrieren und zu untersuchen, war bedrückend und schwierig. Nicht jeder konnte sich so effizient und pragmatisch an die Umstände anpassen wie das Team Derwent und Hudson. Im Laufe der Zeit mussten viele Pathologen abgelöst werden. Manche nur so lange, bis sie ihr seelisches Gleichgewicht zurückerlangt hatten, andere für immer. Beharrlich erledigten die Forensikteams und ihre Helfer die entsetzliche Arbeit. Aus zehntausenden identifizierten Toten wurden hunderttausende.
Dennoch blieben nach wie vor alle Fragen offen. Die Pathologen des Militärs, die mit ihren zwangsverpflichteten zivilen Gegenstücken arbeiteten, versuchten immer verzweifelter, anhand der verfügbaren Beweise Rückschlüsse auf die Täter zu gewinnen - vergebens.
Die Henker hatten nichts zurückgelassen, nicht einmal Fußspuren. Falls sie Waffen benutzt hatten, die Explosivprojektile verschossen, so hatten sie jede einzelne Patronenhülse aufgesammelt, ob intakt oder beschädigt, damit sich die Herkunft der Waffe nicht bestimmten ließ.
Einen Aspekt des Angriffs glaubten die Forscher bestimmen zu können: Die Kolonisten waren völlig überrascht worden. Wie sonst ließ sich erklären, dass es keinerlei Aufzeichnungen über die Invasion gab? Falls jemand einen Bericht oder eine Warnung auf ein Stück Papier gekritzelt oder verzweifelt in einen Rekorder geflüstert hatte, so gab es keinen Hinweis darauf. Es war, als habe die Bevölkerung unbekümmert bereitgestanden, während die unbekannten Schlächter methodisch mit ihrer brutalen, grausigen Arbeit fortführen. Man hatte die pathologischen Teams speziell angewiesen, nach derartigen Beweisen für den Angriff Ausschau zu halten, ganz gleich, welcher Art.
»Man sollte doch meinen, dass man wenigstens irgendwo eine Notiz findet.« Als Derwent mit seiner Arbeit im Gasthof fertig war, schlenderte er durch den Empfangsraum, während Hudson die letzte Leiche untersuchte. »Eine Zeichnung von einem entsetzten Kind oder eine Beschreibung, die in einer kodierten Datei versteckt ist.«
»Es existieren keine intakten Unterlagen vom Tag des Angriffs.« Hudson erhob sich aus ihrer Hockstellung. »Diese Leute sind von ihren Angreifern nicht nur kurz überrascht worden, sie waren dauerhaft überrascht. Das ist verrückt. Aber ich stimme dir zu. Ganz gleich, wie sehr dieser Angriff die Bevölkerung schockiert hat, eigentlich hätte jemand irgendwo eine auffindbare Nachricht hinterlassen müssen.« Sie hob den Blick und sah ihn mit ihren farblosen Implantaten an. »Es wäre kaum Aufwand nötig gewesen. Nur ein paar Worte. ›Menschen haben das getan‹, würde für den Anfang schon reichen. Oder ›Thranx hier, töten alle.‹ Oder unbekannte Außerirdische sind gelandete Irgendwas, einfach irgendwas.«
Derwent nickte. Er ließ seinen 3-D-Rek sinken und ging nach draußen. »Alles ist besser als nichts. Und im Moment haben wir nichts. Ich nehme nicht an, dass du von den anderen Teams was anderes gehört hast?« Während er auf den Gleiter zuschritt, rappelte sich ihre Militäreskorte vor dem Gasthof widerwillig auf.
Sie schüttelte den Kopf. »Es scheint egal zu sein, ob man wie wir draußen auf dem Land arbeitet oder in einer der größeren Städte. Es ist überall das Gleiche. Alle tot, und nichts weist auf die Mörder hin.« Sie gestattete sich ein dünnes Lächeln. »Irgendwo wirdjemand etwas finden. Keiner kann
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