Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
kleinen Landgasthofs standen ein Unteroffizier und zwei Gefreite Wache, wobei stehen vielleicht ein wenig übertrieben formuliert war. Es störte Derwent nicht, wenn die drei sich hinsetzten, die Waffen beiseite legten und sich leise unterhielten. Der kleine Gleiter, mit dem das Team und die Ausrüstung hergebracht worden waren, stand in der Nähe, mit ausgeschaltetem Motor und völlig frei zugänglich für jedermann. Der Spezialist für Spurensicherung machte sich keine Sorgen. Seit der Landung des ersten Marines-Trupps waren sie hier auf Treetrunk auf keinerlei Gegenwehr gestoßen. Und es hatte auch seitdem nie Schwierigkeiten gegeben. Nichts störte die Arbeit der Pathologen und amtlichen Leichenbeschauer.
Was auch immer die Bevölkerung von Argus V ausgelöscht hatte, es ließ sich nirgends blicken. Falls die erbarmungslosen und gründlichen Angreifer Verluste erlitten hatten, so hatten sie sorgsam darauf geachtet, ihre Toten und Verwundeten mitzunehmen und alle Spuren zu verwischen. Sämtliche Blutflecken, Gewebereste und Körperteile vor Ort stammten von Menschen. Die Täter hatten vergleichsweise unmoderne Vernichtungswaffen eingesetzt, was eine rasche Identifizierung der Angreifer ausschloss. Nur die Leichen ihrer Opfer und die Zerstörung zeugten von ihrem Werk.
Die Psychologen sahen darin einen Hinweis darauf, dass die Angreifer sich vor Vergeltungsmaßnahmen fürchteten. Dazu hatten sie auch jeden Grund. Es gab keinen einzigen Soldaten in den Entsatztruppen, der nicht nachts davon träumte, imaginären Außerirdischen die Hälse umzudrehen.
Derwent war eher Realist. Da er nichts über diejenigen wusste, die die Kolonie zerstört hatten, hielt er es für unangebracht, einem imaginären Gegner die Schuld zuzuweisen. Denn nach allem, was man bislang herausgefunden hatte, konnte es sich bei den Invasoren durchaus auch um abtrünnige Menschen von einer der anderen Koloniewelten handeln.
»Welchen Beweggrund sollte eine andere Kolonie für ein derartiges Massaker haben?«, forderte Hudson ihn heraus, als er ihr seine Gedanken mitteilte. Ihre implantierten Sehlinsen glitzerten. Sie war eine schnippische, temperamentvolle Frau, auf die das Adjektiv lebhaft in mehrerlei Hinsicht zutraf, und sie pflegte für gewöhnlich ihre Meinung energisch zu vertreten.
Der phlegmatische, unempfindliche Derwent stritt sich gern allein aus dem Grund, anderer Meinung sein zu können. Derwent und sie waren zwar kein sonderlich harmonisches Team, aber ihre persönlichen Streitigkeiten wirkten sich niemals nachteilig auf ihre Arbeit aus. »Woher soll ich das wissen? Da ich selbst nicht gerade die Psyche eines Massenmörders hab, kann ich mir den Beweggrund nicht mal ansatzweise vorstellen.« Er trat zu der Leiche eines achtjährigen Jungen, dessen Kopf und Beine fehlten.
»Dann halt die Klappe!«, entgegnete sie knapp. »Wenn du mir keinen Beweggrund nennen kannst, hast du auch keine Hypothese.«
»Ach ja?« Er schwenkte seinen Rekorder durch den Vorraum des Gasthofs, um sicherzugehen, den schweren Schaden in der Rückwand genau aufzuzeichnen. »Also schön, ich rate mal. Vielleicht war jemand eifersüchtig, weil die Siedler hier so viel Hilfe bekommen haben. Vielleicht dachten die Angreifer, sie könnten etwas wirklich Wertvolles stehlen, um sich selbst ein wenig harte Arbeit zu ersparen. Vielleicht hatte sich eine Art Fehde zwischen dieser Kolonie und einer anderen entwickelt.«
»Nichts davon ergibt irgendeinen Sinn.« Sie hatte sich über die Überreste eines Paares in mittlerem Alter gebeugt, das in inniger Umarmung gestorben war. »Selbst wenn mehrere deiner Erklärungen zuträfen, würden alle zusammengenommen und ein halbes Dutzend weitere nicht genügen, um die Auslöschung von sechshunderttausend Menschen zu erklären. Menschen tun so etwas nicht.«
Derwent lachte kurz auf. »Schau dich lieber ein bisschen in unserer Geschichte um!«
»Also schön«, räumte sie ein, »dann tun wir es eben nicht mehr. Seit dem Ende des Zweiten Mittelalters haben wir uns nicht mehr in solchem Ausmaß gegen uns selbst gewandt.«
»Dann müssen es Außerirdische gewesen sein.«
»Das ist noch nicht sicher«, erinnerte sie ihn. »Bis jetzt sind keine Schlussfolgerungen gezogen worden. Es ist noch zu früh dazu, und außerdem sammeln wir erst noch die nötigen Beweise. Wir wollen sowieso nicht diejenigen sein, die das endgültige Urteil fällen. Das weißt du. Es wird auf der Erde gefällt werden.« Sie ging wieder dazu über, Fakten
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