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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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sich an das Einfache von der anderen Seite her wieder anschleichen«, sagte er. »Das will heißen …«
    Er stockte. Nun hatte er sich durcheinandergebracht. »Jetzt weiß ich selbst nicht mehr, wie ich mich deutlich machen kann …«
    Sie lachte. »Ich denke darüber nach, werde herausfinden, was Ihr meint, und es Euch morgen mitteilen. O ja, ich merke mir alles, was Ihr sagt!«
    Ein Junge erschien auf einmal in einer der Pforten zu den inneren Gemächern, schob sich die Wand entlang zu einem Stuhl – war der Boden des Salons eine Illusion und musste er auf dem Sims balancieren? –, errötete dabei und setzte sich, die Knie eng zusammengepresst, beide Hände daraufgedrückt, wenn nicht gerade die Rechte am Mund oder die Linke an der Nase nestelte.
    »Das ist sehr schön«, murmelte der Junge, Prinz Fernando. »Klingt bis ins Schlafgemach hinüber, sehr leise allerdings – und so wollte ich näher dabei sein. Geht das?«
    Escarlati, obgleich an der zweiten Klaviatur und mehrere Armlängen von der Prinzessin entfernt, fühlte sich ertappt, ließ sich jedoch nichts anmerken.
    »Wir sind gleich fertig«, rief die Prinzessin ihrem Gemahl zu, obwohl man doch gerade erst begonnen hatte, und sagte dann zum Meister: »Es stört doch nicht, wenn mein Mann uns zuschaut?«
    »Macht meine Frau Fortschritte?«, fragte der Jüngling.
    Beides, »Mann« wie »Frau«, klang absurd wie die falsche Artbestimmung eines Naturforschers.
    »O nein – o ja«, beantwortete der Meister die Fragen nacheinander.
    Escarlati mochte den Prinzen nicht und ging ihm, wenn irgend möglich, aus dem Weg. Man hatte vereinbart, dass auch Fernando Stunden erhielt, ein Auftrag, den der Meister nicht hatte abschlagen können und dem er nur widerwillig nachkam – was er sich natürlich nicht anmerken ließ.
    Prinz Fernando spielte gar nicht so übel, sang auch recht schön – nein, das war es nicht. Escarlati wurde einfach nicht schlau aus ihm. War das ein Mann oder ein Kind? Beides. Und keines von beiden. Wie kam Maria Barbara bloß mit ihm zurecht? Was taten die beiden im … nun, ja, Bett? Vergeblich hatte Escarlati versucht, sich das vorzustellen.
    Doch auch dies war es nicht, was den Prinzen in den Augen des Meisters unheimlich machte. Es war Folgendes: Des jungen Mannes Verhalten – nehmen wir dieses Wort in Ermangelung eines besseren – wechselte schlagartig von einer Möglichkeit zu einer zweiten, als habe jemand in ein und demselben Stück zwei Rollen zu übernehmen. Und dazwischen gab es nichts – hinter den Masken war gar kein Schauspieler, kein wirklicher Mensch. So jedenfalls empfand es Escarlati.
    War Fernando allein oder im Zwiegespräch, dann benahm er sich wie ein Kind, alberte herum, war durchaus helle und machte Späße. Doch kam er in eine Lage, die auch nur die winzigste Spur einer höfischen Verpflichtung mit sich brachte, und sei es nur, als Erster den Salon zu betreten oder beim Speisen um ein Glas Wein zu bitten – ganz zu schweigen zum Beispiel davon, eine Frage zu beantworten, wenn mehr als zwei Augenpaare zugegen waren –, dann war es, als bräche in seinem Inneren ein Gerüst zusammen, etwas, das anstelle seiner Glieder und seines Torsos die Kleider ausgefüllt hatte, etwas aus Holzstreben Zusammengezimmertes, das sowieso nur eckige Bewegungen zuließ und dann auch noch nach und nach einknickte. Er wurde weich, sackte weg, als versuche man, einen frisch gefangenen Fisch gegen eine Wand zu stellen, fummelte nervös an Nase und Kinn herum, wurde rot und schwitzte. Und – damit erst kam man zum Kern der Sache, denn all dies hätte ja auch Sympathie oder gar Mitleid auslösen können – Seine Augen blickten hasserfüllt und kalt wie Stahl, allerdings niemals direkt in ein Gesicht. Das heißt, fast nie, denn wenn einen trotzdem einmal dieser Messerblick streifte … Dann Gnade uns Gott und bewahre uns vor solch einem König, hatte Escarlati mehr als einmal gedacht, jedoch sein Bedienstetenlächeln zurückgelächelt.
    Die Prinzessin und Escarlati spielten die Toccata noch einmal durch, gleichzeitig, jeder an seinem Instrument.
    »Gut«, sagte der Meister, als sie geendet hatten. »Nur weiter so. Und morgen mehr.«
    Als Prinz und Prinzessin, das seltsame Paar, sich in ihre Gemächer zurückgezogen hatten, setzte sich Escarlati noch einmal an das große Cembalo, die linke Hand auf den Notenständer gestützt, den Kopf über die Tastatur gebeugt, legte den Zeigefinger der Rechten leicht auf eine Taste, drückte sie ganz

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