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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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langsam nieder, bis der Druckpunkt erreicht war und die Saite sich vom Reiter, dem Federkiel, löste und endlich frei schwingen konnte, silbrig und fein, wie weit entfernt oder aber ganz nah im Inneren des Ohres. Er wartete dann das Verklingen ab, lauschte dem Ton noch eine Weile nach und ließ erst dann die Taste wieder los. Holz schlug noch einmal leicht an Filz, und alles war still. In der Ferne bellte ein Hund. Man hörte das Rauschen von Palmwedeln.
    Ein einzelner Ton schon ist eine ganze Welt, wozu braucht man eigentlich mehr? Nun, irgendetwas muss eben entstehen, das ist Schöpfung. Nur was? Nichts Gekünsteltes und nichts Hübsches, nein. »Ich muss mich an das Einfache von der anderen Seite her wieder anschleichen«, murmelte er. »Eigentlich habe ich das zu mir selbst gesagt.«

14
    Felipe V. seufzte. »Wenn ich«, begann er, »frühmorgens …«
    »Das heißt spätnachmittags«, raunte Domingo seiner Tischnachbarin zu. »… in den Gängen meiner Gedanken – und dies bedeutet: Sorgen – auf- und abwandle, immer dieselben Wege, die altbekannten Sackgassen, finsteren Plätze ohne Ausgang und ohne Schutz, dann wünsche ich mir oft, dieses Labyrinth existiere gar nicht, auch wenn ich selbst mitverschwände; und anstelle dessen wäre am besten überhaupt nichts oder meinetwegen eine weite leere Fläche; ach, ich will nicht mehr sein, zumindest nicht mehr König!« Letzteres rief er laut. »Gebt mir Feder und Papier, holt das Siegel, wärmt schon einmal den Lack. Ich mag nicht mehr!«
    »So viele Worte an einem Stück«, flüsterte Domingo der Nachbarin zu, »hat er schon lange nicht mehr gesagt. Und schon gar nicht so schön gesetzte. Schriebe ich noch Opern, ich würde sie vertonen. Bravo, bravo.«
    »Ihr hattet doch schon einmal abgedankt, Majestät«, sagte ein Hofbeamter, »zugunsten Eures Sohnes. Und das war, mit Verlaub, kein großer Erfolg.«
    »So etwas kommt mir nicht infrage«, sagte Königin Isabella in die Runde, wobei es schien, als blicke sie ruckartig, wie von Zahnrädern angetrieben, jedem nacheinander in die Augen. »Ihr wisst es alle: keine Federn und schon gar keine Tinte im Palast, nirgends und zu keiner Zeit – ganz, als wäre sie schwarzes Gift! Und das gilt auch für Euch, Herr Escarlati. Merkt Euch Eure Musik gefälligst, bis Ihr wieder zu Hause seid.«
    Wieder einmal war der Diener bei Escarlati angelangt, beugte sich seitlich herab, bot sich an, Wein nachzuschenken, doch des Meisters Glas war noch halb voll. »Vielen Dank«, sagte er, »doch ich habe noch, vielleicht das nächste Mal …«
    Ein zweiter Lakai schob sich mit der Bratenplatte herbei, hielt sie etwas schräg, sodass man die Fleischstücke gut betrachten konnte, doch Escarlati lehnte ab, mit angehaltenem Atem, um sich vor dem Geruch zu schützen. Wie immer. »Nein danke. Kein Gegrilltes für mich«, sprach er im Ausatmen.
    Prinz Fernando auf der gegenüberliegenden Seite der Tafel hatte inzwischen sein Weinglas umgestoßen und starrte auf den roten Fleck, der wie Blut auf ihn zuwanderte und gut zu seiner augenblicklichen Gesichtsfarbe passte.
    Niemand schien von dem Vorfall Notiz zu nehmen. Ein Diener eilte herbei, lautlos und wie schon vor dem Malheur gestartet, faltete ein weißes Tuch doppelt zusammen, legte dem Tisch eine Kompresse auf und verbarg die Peinlichkeit.
    Escarlati nahm noch von den Orteguillas, einer Köstlichkeit aus dem Meer, die nur nahe der Mündung des Guadalquivir vorkommt, eine Art Seeanemone, weder Pflanze noch Tier, weich, feucht und von metallenem Geschmack.
    Gemurmel wogte auf und ab, schwoll an und wurde immer wieder zurechtgestutzt wie eine zu hoch wuchernde Hecke, wenn Seine Majestät sprach. Aber dies geschah selten und leise.
    »Es war nur Spaß«, sagte er unvermittelt. Königin Isabella neben ihm lächelte und blickte in die Runde, was sie immer tat, wenn der König sich äußerte, als übernähme sie für ihn den Ausdruck der Augen und des Gesichts, weil beides, Sprechen und Mimik, ihn überanstrengen würde.
    »Und trotzdem«, sagte sie. »Keine Feder, kein Papier, auch wenn Herr Escarlati seine 105. Sonate vergisst.«
    Es wurde gelacht, und der Meister lachte mit, wobei er jedoch mit einer Kopfbewegung ausdrückte: Das kann gar nicht passieren, und sich mit dem Finger an die Stirn tippte: Hier ist sowieso alles drin.
    »Der Abend ist noch lang«, rief nun König Felipe in einem Anflug verirrter Fröhlichkeit. »Erhebt euch von der Tafel – machen wir es uns bequem!« Die großen

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