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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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Schatten über den Paradiesgarten im Deckel strich und Domingo die Augen wieder öffnete, fuhr er zusammen. Seine Komposition, die noch nicht aufgeschrieben war und dies auch nie werden würde, rollte in ein paar Figuren aus.
    »Heilige Jungfrau! Das ist aber schwer! O Verzeihung, ich wollte nicht unterbrechen«, sagte Maria Barbara. Der Meister erhob und verbeugte sich, setzte sich dann schnell wieder, um noch ein paar Töne zu spielen, die sein Experiment halbwegs abschließen solltendas war lustig gemeint, ähnlich der Pointe eines Witzes –, stand dann flugs wieder neben dem Instrument, bis die Prinzessin vor der Tastatur Platz genommen hatte, Escarlati nun ganz Diener und etwas verlegen, wobei er nicht wusste, warum. Sie aber lächelte ihm zu, mit schräg nach oben gedrehtem Kopf und verlor keine Zeit: »Soll ich? Ich habe geübt.«
    Als Escarlati nickte, hatte sie schon begonnen; dasselbe Stück wie tags zuvor – eine teuflisch gemeine Studie über Tonwiederholungen. Die Finger der Rechten hatten vor einer weißen, erhöhten Taste Schlange zu stehen, in jedem Takt erneut, und kamen dann der Reihe nach dran.
    »Puh!«, rief die Prinzessin nach kurzer Zeit und brach ab, die Hand ausschüttelnd wie einen Lappen. »Bei Euch ist das so locker und mir tut’s weh.«
    Escarlati fasste ihren nackten Oberarm mit Daumen und Zeigefinger – das musste er tun – und schüttelte. »Es geht schon etwas schneller als gestern. Doch das genügt noch nicht, und die Geschwindigkeit ist auch keineswegs das Wichtigste – alles muss frei schwingen«, sagte er nervös. »Baumeln muss es. Wie kann ich das nur am besten erklären?«
    »Baumeln«, wiederholte sie lachend. »Wie lustig – da denke ich an Ernte, an Früchte, die einem in den Schoß fallen.«
    »Ja«, sagte Escarlati und assoziierte Verschiedenes, was die Prinzessin mitgemeint haben mochte – oder doch nicht? »So ist es und genau dies ist das Geheimnis, das Paradox: das In-den-Schoß-Fallen fällt einem nicht in den Schoß. Beim Komponieren ist es übrigens ebenso.«
    »Ach?« Sie begann das Stück erneut, gar nicht schlecht, sogar noch etwas schneller als zuvor, brach dann wieder ab und blickte fragend nach oben hinter sich: So?
    »Ja, so«, sagte Escarlati. »Nur kann ich nicht in Euch hineinsehen. Wie es sich anfühlt, das wisst nur Ihr. Leicht oder schwer, mühevoll oder wie ein Schmetterling, gewichtslos oder nicht.«
    »Wie ein Schmetterling sicherlich nicht.«
    »Muss es aber sein. Euer Geschenk will nur Euer Bestes.«
    »Das bekommt Ihr auch, wenn Ihr mir nur sagt, wie.«
    Escarlati setzte sich an das zweite, unbemalte und etwas kleinere Instrument, das schräg neben dem Prachtstück der Prinzessin stand. Er spielte dieselbe Toccata, hatte, noch halb im Stehen, schon begonnen und sich dann zugleich mit den ersten Takten niedergesetzt. Wie belanglos er das Ganze auf die Tasten tupfte, wie vollkommen gleichmäßig seine Repetitionen die Zeit perforierten! Dann brach auch er ab, an derselben Stelle wie sie zuvor, doch gewollt und kontrolliert – so, wie ein Maler den Pinsel weglegt und innehält.
    »Tja …«, sagte sie. »Ich verstehe. Nur wie macht man das?«
    »Lockerheit«, versuchte er nochmals zu beschreiben, wackelte dabei mit dem Handgelenk und wedelte zwischen Daumen und Zeigefinger mit einem imaginären Schnupftuch. »Das ist die Abwesenheit von etwas. Nicht dies, nicht das. Deshalb ist sie so schwer zu beschreiben. Wie soll man keine Anstrengung nennen? Wer ist es, der nicht tut? Es muss einfach von selbst gehen, wie bei einem Kind – beobachtet Euch nur keineswegs dabei!«
    »Das ist nicht leicht.«
    »O nein. Es ist das Schwerste, was es gibt.«
    »Eine Stunde lang nicht an den Lieblingspapageien denken.«
    »Die Frage nach dem Lieblingsnachtisch beantworten und dann sofort vergessen.«
    »Oder Leere im Kopf haben und doch nicht schlafen.«
    »Oder etwas riechen und nicht fragen, was es ist.«
    »Oder einen treuen Freund haben und ihn nicht lieben.« Dürfen, hatte sie hinzugedacht.
    Sie lachten beide, wussten um die Untertöne, die geheime Konstruktion, auf der beide in Position gehalten wurden wie zwei Handpuppen, eine wunderschöne kleine, sich fröhlich drehende und eine größere, schon etwas angeschlagene dicke, einander umkreisend, doch in verschiedenen Umlaufbahnen gefangen.
    Dennoch meinte Escarlati es ernst, das heißt, er versuchte wirklich, das Unerklärbare zu erklären, und das wiederum heißt, er war ein guter Lehrer. »Man muss

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