Klang des Verbotenen
eigentlichen Komposition fort und in neue, unerforschte Bereiche hinein. Mehr und mehr wurde ihm klar, wie stark er bereits von Montoya und dessen Musik beeinflusst war: Dies betraf zum einen die Melodieführung, die etwas Schroffes bekommen hatte, was – welch seltsamer Widerspruch – Escarlati gefiel, und zum anderen das Improvisatorische, das sich tiefer und tiefer in seine Werke einfraß – und auch das störte ihn nicht.
Wie zuvor also schaukelte sich die Melodie allmählich auf, wurde schneller, gewagter und dissonanter …
… Bis dem Spieler der kranke König wieder einfiel, der doch schlafen wollte. Also, Kommando zurück; Domingo erinnerte sich an die Coda, die er zuvor dem letzten Stück angefügt hatte, reproduzierte auch diese mehr oder weniger genau, ließ die Musik ein zweites Mal zertröpfeln und ausklingen, diesmal aber in Dur.
»Hmmm«, vernahm er vom König aus dem Hintergrund, dann war es wieder still. Escarlati wollte gerade das zweite Stück beginnen, da kam der Lakai mit zwei Tassen Schokolade auf einem Tablett zurück.
»Kommt her, Meister, stärken wir uns«, rief Felipe, und Escarlati setzte sich zu ihm ans Bett, auf einen prachtvollen, weich gepolsterten Sessel. Nun blickte er – zum ersten Mal in seinem Leben – auf einen König hinab , was ihn verwirrte und ihm ganz und gar nicht gefiel. Er krümmte seinen Rücken und machte sich so klein wie möglich. Das Tablett stand zwischen ihnen.
»Ihr müsst zuerst nehmen und zuerst trinken. Welche soll es sein?«, sagte der König und drehte das Tablett auf der Bettdecke ein wenig hin und her wie ein Steuerrad.
»Das … das gehört aber nicht zu meinen …«, stotterte Escarlati und schwitzte. »Ein Vorkoster …«
Felipe grinste verschwörerisch. »Mir zuliebe – und falls uns jemand beobachtet. O doch, das kann sein, durch Vorhänge, durch Löcher in Tür oder Wänden. Es wird Euch aber nichts geschehen. Bedenkt: zwei Tassen, ein unschuldiger Gast, und sie wissen nicht, wer welche Tasse …«
»Sie?«
»… wer von uns welche Tasse nehmen wird. Hingegen wissen sie aber – denn ich habe dafür gesorgt, dass es sich herumspricht –, dass ich niemals als Erster esse oder trinke. Folglich … überlegt selbst! Es ist bester mexikanischer Kakao aus der jüngsten Fracht des Vizekönigs.«
Jetzt ist er wieder der andere König, der wahnsinnige, dachte Escarlati, was ihn im Augenblick sogar beruhigte, denn folglich war die Gefahr nur eingebildet. Er lächelte und nahm die näher bei ihm stehende Tasse. Rasch griff sich der König die übrig gebliebene, als könne sie ihm ein unsichtbarer Dritter wegschnappen – oder als habe er nun erst Gewissheit, dass diese diejenige ohne Gift sei.
»Köstlich«, sagte Escarlati, nachdem er gekostet hatte, und so war der Kakao auch: herb, cremig, süß. Im Nu fühlte Domingo sich besser.
»O ja, köstlich«, sagte der König, trank aber nicht, sondern schwieg lange und fixierte den Meister. Sein Blick ließ Escarlati erschaudern.
»Mit Verlaub. Wer sind sie ?«, fragte Domingo nach einer Weile. Er war nicht aus dem Sessel gerutscht, wälzte sich nicht am Boden, hielt sich nicht die Eingeweide. »Darf ich fragen, von wem die Gefahr ausgeht? Wer ist es, der Euch nach dem Leben trachtet?« Felipe V. beäugte ihn misstrauisch.
»Alles kann töten«, sagte er dann, was die Frage nicht beantwortete. »Das Meer, wenn es einen verschlingt: also Vorsicht auf See! Der Stier, ein Schwert, die Beere, zerdrückt und an den Braten gemischt wie ein Gewürz; alles ist gefährlich. Hmmm …«
Er hielt inne. »Selbst die Musik. Denkt daran, was die Bibel über Jerichos Fall berichtet.«
»Das waren Trompeten und Posaunen«, wagte Escarlati zu entgegnen. »Hier haben wir nur ein Cembalo, nicht lauter als eine Handvoll Grillen.«
»Hmmm …«, sagte der König nochmals und nahm endlich einen Schluck Kakao. »Wessen Idee war es eigentlich, mich mit Eurer Musik in den Schlaf zu wiegen?«, sagte er dann, nicht ohne Ironie.
Escarlati fühlte sich zunehmend unwohl, rutschte auf seinem Stuhl vor und zurück. »Es war, soweit ich weiß, Ihre Majestät Königin Isabella.«
»Also auch sie«, murmelte der König und dachte angestrengt nach.
»Wenn Ihr gestattet, Majestät, ich glaube nicht, dass …«, begann Escarlati, wurde aber sogleich unterbrochen. Königliche Handbewegung bleibt Königliche Handbewegung, auch wenn der, dem die Hand gehört, spinnt.
»Nein«, sagte Felipe, »auch ich glaube nicht … (Oder
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