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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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nur der erste gewesen. Fisch auf Fisch griff er aus dem Wasser, ganz wie die Bären, mit denen er nun um die Wette angelte, und endlich spürte er, wie seine Kräfte zurückkehrten, und er wusste, dass er vom Hungertod errettet war.«
    Japón machte eine wirkungsvolle Pause, in der er an seinen Großvater zurückdachte. Ja, er hatte beinahe durchweg dessen Worte benutzt!
    »Das ist ein sehr schönes Gleichnis vom Üben«, sagte Escarlati. »Es ist wie auf dem Cembalo auch. Erst wenn alles ganz natürlich geworden ist und wie von selbst geht, ohne eigenes Zutun letztendlich, dann beherrscht man das Instrument vollständig. Vorher nicht. Und dieser Zustand stellt sich unvermittelt ein, wie mit einem Schlag, vielleicht sogar – wie in dieser Geschichte – erst dann, wenn man bereits alle Hoffnung verloren hat, jemals so weit zu kommen. Nicht wahr?«
    »O nein«, erwiderte Japón. »Leider, mein verehrter Escarlati, hast du diesmal nichts verstanden. Das, was du beschreibst, ist keineswegs der Sinn meiner Erzählung.«
    »Nicht?«
    »Nein. Nicht im Geringsten.« Er schüttelte langsam den Kopf wie ein Klosterlehrer, der von seinem Lieblingsschüler enttäuscht wird.
    »Nicht im Geringsten? Das verstehe ich nicht«, murmelte Domingo, sah Curro an, der mit den Schultern zuckte, was hieß: Ich kenne mich da sowieso nicht aus. Japón hob mitleidig die Augenbrauen und seufzte. »Es ist so«, begann er zu erklären, wurde aber sogleich unterbrochen, oder vielmehr hatte sich die Aufmerksamkeit der beiden anderen abgewandt, denn draußen im Sonnenlicht auf der Mitte des Weges hatte sich ein bärtiger, verwahrloster Alter auf seinen Wanderstab gestützt und zu predigen begonnen. Der Mann war schäbig gekleidet, seine Kutte wie aus einem Sack geschnitten, doch – wunderbarerweise – von vollkommenem Sitz. Ihr Träger war groß und dünn, hielt sich trotz des Stockes aufrecht, stolz und feierlich, sodass die vielen Flicken am Rock wie Schmuck oder Orden erschienen – seltsam nur, dass er einige davon am Hintern trug. Das Haar war schwarz, der Bart war grau.
    »Und da stieg ich endlich selbst in die Schöpfung hinab«, rief der wirre Prediger auf dem Platz zwischen Obstkiepen und Gemüseständen, »in Gestalt meines eigenen Sohnes, wie ihr wisst, und wollte mir einmal ansehen, was ich geschaffen hatte – und war entsetzt!«
    Er sprach mit lauter, sonorer Stimme, die aber sogleich brach, wieder voll wurde und wieder brach wie ein Haken, der einfach nicht einrasten wollte – ein Verrückter.
    »Pass auf, was du sagst, Mann«, raunte Curro dem Alten zu, als er, von seinem Kneipenplatz aufgestanden, ganz nahe an ihm vorbeischritt, dabei aber geradeaus blickte. »Du spielst mit deinem Kopf.«
    Der wirre Redner aber sprach weiter. Man musste eingreifen, bevor es zu spät war.
    Mit ein paar Orangen kam Curro wieder zurück, nahm denselben Weg wie zuvor, knapp an dem armen Mann vorbei. »Halt’s Maul«, zischte er, doch vergebens. Der Prediger war Figur in einem unsichtbaren Brunnen, und seine Wahrheit rann weiter; hässlich zwar war sein Gesicht wie die Fratzen der Gárgolas hoch oben an der Kathedrale, doch das Brunnenwasser, das er spie, klar und rein.
    »Das hatte ich nicht gewollt«, fuhr der lokale Messias alias Gott fort.»Nein, diese Welt wollte ich nicht! Wo sind die lauschigen Haine geblieben, die ich für euch schuf und in denen Mensch und Vieh friedlich wandeln sollten? So war doch der Plan gewesen! Wer hat sie abgeholzt? Und wo die glücklichen Kinder und die zufriedenen Alten? Habe ich ein Gewürz in der Erdensuppe vergessen? Ja, das muss es sein. Einst war die Welt wüst und leer – und siehe: Es war besser und wäre besser so geblieben! Verzeiht mir!«
    Der Alte beugte sich zu einem Köter hinab, der ihn anknurrte, streckte die Hand nach ihm aus, und der biss zu. Blut troff vom Zeigefinger, doch der wirre Prediger zeigte keine Reaktion, würdigte seine Hand keines Blickes, wandte sich um und schritt durch die Gasse davon, die Passanten, alt und jung, um Vergebung bittend. Von fern hatte es den Anschein, als bettle die hagere Gestalt um Almosen.
    »Er redet sich um Kopf und Kragen. Ist schon stadtbekannt. Wir müssen ein Auge auf ihn haben«, sagte Montoya.
    »Der Mann ist doch wahnsinnig«, sagte Domingo. »Sieht man das denn nicht?«
    »Was heißt das schon. Für die Inquisition gar nichts. Du bist noch nicht lange genug hier.«
    Oder, wenn es in diesem Land so zugeht, wie es den Anschein hat, schon viel zu lange,

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