Klang des Verbotenen
nicht untergeht – wer hat das eigentlich gesagt?«, fragte Escarlati.
»Lass mich nachdenken. Das war ein König«, sagte Montoya nach einer Weile. Er war ja, obwohl nie in einer Schule gewesen, nicht gänzlich ungebildet, ja, wusste sogar ein wenig zu lesen und hatte über das Land, in dem er aufgewachsen war, das eine oder andere schon gehört.
»Ein König, ja. – Das war Carlos V., wer sonst? Jener, der Isabella von Portugal geheiratet hat, vor etwa zweihundert Jahren. Dessen Reich die ganze Erde umspannte, sodass die Sonne zu jeder Tageszeit irgendwo auf der Welt einen Spanier beschien …«
»… und auch reichlich Ungläubige. Welcher auch den Pavillon aus Azulejos im Alcázar erbauen ließ, nicht wahr? Derselbige?«
»Ja. Jeder weiß das. Selbst der Pfarrer hat’s schon von der Kanzel gebetet. Doch du, Domingo, was meinst du damit, wenn du über deine Musik sprichst – dein Weltreich, soweit verstehe ich das –, was willst du damit ausdrücken?«
»Es ist so. Die Sonne darf auch über meinen Werken nicht untergehen. Ich weiß es erst, seitdem ich meine Opern ins Meer geworfen habe und in dieses Land gekommen bin. Denn in der Nacht würde das Feuer der Töne ausgehen, die Ideen wären dahin, würden am nächsten Morgen nur noch glimmen und nicht mehr leuchten, ein anderer als der gestrige Domingo würde erwachen und sich an das Schreibpult setzen und alles wäre dahin, fortgeweht wie Asche – verstehst du das?«
»Ich weiß nicht. Meine Musik ist die Musik der Nacht, nicht des Tages. Wenn ich aufwache, dann habe ich Kopfschmerzen und brauche ein Glas Wein.«
»Die Musik der Nacht, der Lagerfeuer und Frauen, der roten Kostüme, der wilden Gelage, der Feste. Ich weiß, Curro. Doch all dies ist etwas anderes. Auch ich, obwohl ängstlich und schüchtern, liebe es. Aber eine Sonate zu Papier zu bringen, das muss im Lauf eines einzigen Tages geschehen, ohne Schatten und Dunkelheit, von der Sonne, deren Auf- und Untergang umrahmt und begrenzt. Deshalb sind meine Sachen nun immer so kurz; aber anders geht es nicht mehr. Wozu auch? Wie lange dauert ein Gedanke? Einen Funken kannst du nicht zu einer Funzel verlängern, und ein Blitz wird dir nicht nach Hause leuchten wie eine Laterne.
Die Idee ist die ganze Form, nicht mehr und nicht weniger. Ein leichter, billiger Rock, ja, doch er passt, ist beweglich und lässt dich tanzen wie ein Narr, ohne dass er irgendwo spannt.
Das Wiederholungszeichen in der Mitte meiner Sonaten, das entspricht dem Mittag, der Sonne im Zenit. Der schwarze Doppelstrich dort ist die Sonnenuhr im senkrechten Stand. Kein Schatten weit und breit, Hitze und Fluch dieses Landes, nicht wahr? – Und auch die Modulation ist an ihrer höchsten Stelle angelangt. Wohin kann man sich nun wenden, wo gibt es Schutz und Kühlung? Man wird sehen – hört nur genau hin! Doch das verstehst du vielleicht nicht …«
»Nun …«
»Eine Sonate, das ist nicht mehr als ein Leuchtkörper, eine einzige Blume nur im Strauß des Feuerwerks, welches zu Ehren des Königs oder für wen auch immer abgebrannt wird, mir ist das einerlei – verstehst du, dieses kann ich tun, mehr nicht – und wenn ich eines Tages mein ganzes Arsenal abgebrannt habe, dann …«
Er schwieg.
»Deshalb also gabst du die Oper auf«, sagte Curro nach einer Weile. »Ich bin nicht so blöd.«
»Ja, auch deshalb …«
Domingo war zufrieden mit sich, jedenfalls für den Augenblick. »Das ist alles, was ich vermag«, sagte er und trank vom Aguardiente. »Nur das.«
Noch einmal hielt er Ausschau nach Candela, konnte sie aber nirgends entdecken.
Die Nacht hatte sich herabgesenkt. Hier und da, auf Steinen und Baumstümpfen, leuchteten Laternen und hieben Profile einzelner Gesichter für Momente aus dem Dunkel, dann rötlich flackernd. Ein Feuer wurde angezündet. Jemand stellte einen Eimer ab, der voller Fische war. Ein Sack Kartoffeln plumpste in den Sand. Ein Fass wurde herangerollt.
»Du wirst sie schon wiederfinden«, sagte Curro. Er war ein guter Beobachter. »Nur Geduld, mein Freund!«
Ja, das waren sie nun wohl: Freunde.
»Und überhaupt war das Spinett viel zu schlecht«, sagte Escarlati unvermittelt. »Ich brauche eine Revanche, eine zweite Chance. Zu dumm, dass ich euch nicht in den Alcázar mitnehmen kann.«
»Immer mit der Ruhe«, grinste Montoya. »Da wird sich schon eine Lösung finden.«
18
Als Escarlati am frühen Morgen zurück zum Alcázar wankte, den Bauch randvoll mit köstlichem gegrilltem Fisch – den er
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