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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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hat’s gesehen – vielmehr noch: gehört! Die Tonfolge g – b – es – fis – b – cis – d. So war es doch? -Ich hab’s mir auch gemerkt, miau, miau – hast du aber einen feinen Geschmack! –, und er will’s verwenden für eine Fuge, na, ich bin gespannt, doch ich weiß schon, was er daraus machen wird. Das fis kann auch ein ges sein, und dann haben wir es-Moll in g-Moll, jaja, du bist ein schlaues Kerlchen, doch nicht so schlau wie er, unser geliebter Domingo Escarlati …«
    Hier geht es noch höher hinauf, schien der Kater zu denken, als er die Augen öffnete, bestieg mit einem unaufgelösten Quartvorhalt den Notenhalter über der Tastatur und blickte dann in den Saitenchor wie in einen Teich. An den Wellen ließ sich zupfen, und das tat Manolito – so hieß er – nun abwechselnd mit rechter und linker Pfote, ein seltsamer, pelziger Harfner. Dieser zweite Satz experimenteller Musik hatte auch seinen Reiz: Arpeggien unbekannter, noch zu erfindender Harmonien, schroff und trocken, denn natürlich blieben die Saiten gedämpft.
    »Ui! Das könnte ich auch gebrauchen«, sagte der Meister, der unbemerkt eingetreten war. Manolito drehte den Kopf, zog rasch die Pfoten von den Saiten ab, als dürfe ihm niemand beim Komponieren zusehen, und machte einen Satz auf den Boden, einen zweiten zum Eisentor und einen dritten, wer weiß wohin, denn schon war er verschwunden.
    »Keine Verbeugung? Keine Zeit für Applaus?«, lachte Escarlati und ging auf die Prinzessin zu.
    Maria Barbara begrüßte ihn freudig, setzte sich ans Cembalo, faltete den Rock zur Seite, ließ die Stofflagen zwischen Stuhl und Instrument verschwinden, und schon stand Escarlati neben ihr, sah zu, wie der Prinzessin kurze, bewegliche Finger über die Tasten huschten, beobachtete dabei die reizende Anspannung, die sich immer wieder ihres Mundes bemächtigte und sie unbewusst mit der Zunge die Lippen befeuchten ließ.
    Sie war gut und wurde immer besser. Der Meister lobte, dies nicht zu knapp, was seine Schülerin ermutigte und sicherer im Spiel machte, und setzte sich dann, als sie geendet hatte, selbst an das Instrument. Erst im letzten Augenblick rutschte sie zur Seite und glitt vom Stuhl.
    »Das habe ich bei den Gitanos gehört«, sagte er, schon halb im Spiel, und begann, über der wunderbaren absteigenden Quart des fahrenden Volkes zu improvisieren, die Essenz aller Musik und aller Klage.
    »Es klingt wie die Wolke aus Stimmen, die nachts über unsere Gartenmauer schwebt«, sagte sie und blickte nach draußen wie im Versuch, sich in wirkliche Nacht zu versetzen.
    »Sie verwenden vier Bestandteile«, sagte er, während er weiterspielte, als handle es sich um ein geheimes Parfümrezept. »Die absteigende Quart in der linken Hand – dieses Element also in sich selbst vierfach, das heißt, in vier Einzeltöne verschiedenen Gewichtes geteilt; dann zweitens die Harmonien, immer gleich, von Moll über Dissonanzen nach Dur, wieder und wieder; dann den Rhythmus – da müsst Ihr Euch das Klatschen der Hände dazudenken –; und viertens die Melodie, nicht wie in unseren Arien oder Menuetten, sondern unvorhersehbar, rau, wild und gezackt wie die Sierra. Und dann stürzen die Töne auf dich ein, prasseln herab wie Felsbrocken und begraben alles unter sich.«
    »Alles?«
    »Die Vernunft. Die Mäßigung. Die lieblichen Gärten, Pavillons und hübschen Flötentöne.«
    »Und so musiziert man dort draußen?« Sie sah dem Meister auf die Hände, behalf sich so bei dem Versuch, die unbekannten Harmonien seines Spiels zu verstehen: Wenn zum Beispiel sich die Spanne der Hand um eine Taste verringert, dann ertönt keine Oktave mehr, sondern eine Septime, ein schriller Klang, der Gefährte des teuflischen Tritonus!
    »Ja, so spielen sie«, sagte Escarlati und beendete seine Improvisation auf die einzig ihr angemessene Weise: abrupt. Nicht durch eine nette Kadenz, nicht durch einen freundlichen, tausendmal gehörten Vorhalt und auch nicht durch ein muffiges Arpeggio aus Perückenstaub, nach welchem die Zuhörerschaft gepflegt in die Hände patscht, als pappten diese aneinander.
    »Ich möchte mitgehen«, sagte Maria Barbara, als Escarlati geendet hatte.
    Er wandte verblüfft den Kopf und zog die Register aus dem Instrument. Mitgehen zu den Gitanos – meinte sie das?
    Sie meinte das. »Auch jene sind meine zukünftigen Untertanen«, sagte sie beinahe entschuldigend, »und vielleicht sollte ich in Erfahrung bringen, wie sie leben, damit …« Die Prinzessin

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