Klang des Verbotenen
andere und doch nicht glücklich – und geweint.
Ob die Kneipe schon geöffnet ist? Ein guter Wirt schläft nie, sagt man ja, und Escarlati wanderte in Richtung des üblichen Treffpunkts, doch nicht auf geradem Weg, belauschte das Echo seiner Schritte und war aufgewühlt, schlaftrunken auch und hungrig.
Die Sonne ging auf, Schatten erwuchsen zum Leben, teilten sich ab vom allgemeinen Dunkel, fuhren schnell und dann langsamer auf Fassaden, Gitter, Brunnen und Bäume zu. Die leuchtenden Häuserfronten erhoben sich, buckelten wie Katzen, die gut geschlafen haben. Erster Rauch stieg auf, und erste Sonnenstrahlen flogen über Hügelkuppen und Dächer.
Escarlati fühlte sich etwas besser.
Natürlich hatte die Kneipe noch geschlossen. Bänke, Blumentöpfe und Fässer waren weggeräumt, Fensterläden und Türen verriegelt, nachts ein Haus wie jedes andere, und Escarlati hatte Mühe, das betreffende Gebäude in dem Einerlei der Fassaden überhaupt zu erkennen.
Er ging weiter, an dem dunklen Haus vorbei, in tiefen, verstörten Gedanken, in deren Gespinst nichts komponierte, nichts sang und alles durcheinanderwirbelte.
An schütterer Bebauung vorbei, auf sandigem Boden, der sich ein wenig neigte, bewegte er sich dem Guadalquivir zu und den Schiffen, deren Ankertaue knarzten wie große Frösche, setzte sich auf einen Mauerrest abseits der Fahrwege und sah zu, wie der Hafen erwachte.
27
»Seid ihr schon einmal drunten am Fluss gewesen, Kinder?«, fragte Montoya.
»Ja!!«
»Das dachte ich mir, ihr Strolche. Dort, wo die Galeoten und Fusten vor Anker liegen, jene Schiffe, die noch von Ruderern getrieben werden, das bedeutet, von Sklaven, Gefangenen, Mördern und vielleicht sogar – Mauren?«
»Ja!«
»Doch wart ihr dort auch schon in der Nacht? Nach Mitternacht, wenn die Glocken nur noch vereinzelt schlagen? Und sonst nur Schwärze und Todesstille herrscht, nachdem der letzte Nachtwächter nach Hause gegangen ist? Nein?
Ich schon. Da könnt ihr, wenn ihr Glück habt, ein ganz besonderes Schauspiel erleben. Ich habe es gesehen.
Hört zu. In manchen Nächten, wenn es finsterer als finster ist, wenn der Mond nicht am Himmel steht und selbst die Sterne ausgelöscht sind und wenn der Nebel mannshoch auf dem Guadalquivir liegt wie Schaum auf gut gezapftem Bier, dann läuft das Geisterschiff in den Hafen ein, eine rabenschwarze Fuste mit elf Ruderern auf jeder Seite.
Elf Ruderpaare. Und darüber steht ihr schwarzer Kapitän mit einem Schirm in der Hand, der ihn vor der Finsternis schützt, denn das Pech einer solchen Nacht ist so schwarz, dass es dir die Seele ausbrennt. So sind auch die Ruderer keine Menschen mehr, sondern Automaten: ihre Münder für immer stumm, die Augen erloschen, ihre Hände mit den Rudern verwachsen wie sich um Felsen klammernde Baumwurzeln.«
»Tote«, flüsterte ein Junge.
»Kann sein«, fuhr Montoya fort. »Wer weiß das schon so genau. Schweigend also lenkt die Mannschaft den Bug ans Land, zwischen zwei Galeoten aus Afrika vielleicht, deren Besatzungen bis auf den letzten Mann schlafen und schnarchen – und dann alle zugleich im Traum aufstöhnen, wenn der Kiel des schwarzen Schiffs sich auf den Ufersand schiebt wie ein riesiges Krokodil.«
»Das ist ein wildes Tier aus der Wüste«, sagte der Junge.
»Frisst nur Menschen«, hauchte ein anderer.
»… Ja, aufstöhnen, doch weiterschlafen und fortan noch schwerer träumen«, sprach Curro. »Von Schlamm bis zum Hals und Meeresgrund. Denn niemand – außer mir – sah je das Geisterschiff vor Anker gehen, doch das wenigstens ist leicht erklärt, denn die Fahrt ist im Hafen noch nicht zu Ende, ganz im Gegenteil. Der Käpten – und wer sollte das sein, wenn nicht der Teufel höchstpersönlich – stampft dreimal mit dem Stock seines Schirmes auf die Planken und zeigt dann mit der Rechten, die in einem schwarzen Handschuh steckt, den Strand hinauf zur Giralda …«
»Und dann, was dann?«
»Und dann fahren die 11 Ruderpaare auf einmal herab und stellen sich auf wie Insektenbeine, das Schiff erhebt sich und schreitet das Ufer hinauf wie eine Spinne auf 22 Stelzen. – Ja, jetzt, über dem Wasser, sieht man, dass die Ruder schwarz und borstig sind wie Glieder und nicht in Blätter auslaufen, sondern in Füße mit Krallen, die eine grausige Spur in den Strand drücken.
Tags drauf am frühen Morgen kann man die furchtbaren Abdrücke noch sehen. Sie tauchen empor aus dem Guadalquivir, als wäre ein gewaltiger Vogel auf dessen Grund gen Sevilla
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