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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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– und wohl auch findet.«
    »Ja«, sagte er, setzte sich ans Instrument und spielte seine Improvisation über das andalusische Stück Montoyas, aus dem Gedächtnis und mit großer Virtuosität. Die Prinzessin stand eng daneben, Stoffwolken ihres Kleides streiften seine Schulter und fühlten sich an, als wäre das schon die Haut.
    »Das hast du wirklich gewagt?«, fragte er, als er geendet hatte und sie wie ertappt auf Abstand ging – denn während seines Spiels war sie in Sicherheit gewesen –, wobei er nicht merkte, dass er diejenige Anrede gebrauchte, die einem Kind vorbehalten ist und die er seit Lisboa nicht mehr verwendet hatte. Jetzt aber sprach er mit einer Frau, und Maria Barbara war ihm mit einem Schlag noch näher als zuvor.
    »Ich wollte wissen, wo du dich herumtreibst«, sagte sie und hob die Distanz auch ihrerseits für einen Augenblick auf.
    Doch nun bekam Escarlati Angst und wich zurück. »Wie ich Euch für Euren Mut bewundere!«, sagte er, allerdings Rückzug und Vorstoß in einem, Letzteres durch die liebevolle Betonung und den begleitenden Blick.
    Er erhob sich, und nun setzte sie sich ans Cembalo, stopfte dabei wie immer ihr Kleid zwischen Bank und Tastatur, während er ihr, wie Maß nehmend, doch ohne zu wissen, was er tat, von hinten die Taille umfasste, mit beiden Händen, aber gleich wieder losließ.
    »Punkt eins«, sagte sie, die zusammengezuckt war, als sie seine Hände gespürt hatte, nun resolut und wieder distanziert. »Ich möchte auch so etwas spielen können. Und improvisieren.«
    »Also an die Arbeit«, rief Domingo überlaut und fuhr fort: »Das ist nicht so einfach, denn die … Gitanos …« Er wagte es zum ersten Mal, das Wort hier am Hof auszusprechen. »… schreiben ihre Musik nicht auf wie wir. Man muss sie also über das Hören entschlüsseln – und darüber hinaus unserem Instrument, das ihnen fremd ist, anpassen.«
    »Deshalb also das Cembalo in der freien Natur«, lachte sie, und er nickte.
    »An der Quelle. Mein Instrument ist mein Skizzenbuch«, erklärte er. »Schwer zu transportieren allerdings, das sei zugegeben. Doch: Was ich in den Fingern hatte, das vergesse ich nicht mehr.«
    »Nun bin ich es, die Euch bewundert«, sagte sie.
    Er schob sich neben sie auf die Bank und spielte mit der rechten Hand eine absteigende Quart im tiefen Register.
    »Darauf ruht alles, darauf ist der ganze Gesang Montoyas – das ist der Sänger, den Ihr gehört habt – gegründet, fest und unverrückbar wie die Alhambra an den Hängen der Sierra.«
    »So wie unsere Musik auf der Kadenz.«
    »Wahr. Doch wie verschieden sind die beiden Gebilde! Bei uns: Ruhe über alles! Der Bass steigt von der ersten zur vierten Stufe, dann weiter zur fünften – und sinkt dann wieder zum Ausgangspunkt zurück. Das vollkommene Gleichgewicht. Und wie anders dort draußen: Immer wieder ergreift man den höchsten Ton, ja schreit ihn heraus, um überhaupt beginnen zu können, und immer wieder sinkt man dann ermattet herab bis zum tiefsten – eine endlos gezackte Linie; sprunghafter Anstieg und Herabrollen, Anstieg, Herabrollen, hinauf, herab … Kennt Ihr die Sage von Sisyphos, der immer wieder denselben Stein auf einen Berggipfel wälzen mussund wieder und wieder rollt dieser dann hinab ins Tal, und die Mühsal beginnt von Neuem? Das ist die Musik der Gitanos – das ist das Leben der Gitanos … Wir aber«, fügte er nach einer Pause hinzu, »wir kugeln nur in der Ebene umher; so wie auch unsere Kadenz … ein Ballspiel zur Ergötzung der Hofgesellschaft, nichts weiter.«
    »Das ist vielleicht ein wenig übertrieben«, sagte sie.
    »Mag sein«, gab er zu und spielte noch einmal die vier magischen absteigenden Basstöne.
    »Nun aber weiter, wie harmonisieren?«, fragte er, und Maria Barbara antwortete, indem sie gleichzeitig sprach und spielte: »Das ist leicht – ich hatte es gleich verstanden. Zum Beispiel so.«
    Die Akkordfolge, die sie gewählt hatte, traf und war charakteristisch genug, besaß Dissonanzen an den richtigen Stellen, besonders über dem vorletzten Ton, dieser der wichtigste und wildeste Moment der ganzen fremdartigen Harmonik, der sich dann bei jeder Wiederholung in denselben Ruhepunkt über der tiefsten Gitarrensaite beziehungsweise hier dem e des Cembalos auflöste.
    »So würde ich es auch machen«, sagte Escarlati, nicht ohne Stolz über seine begabte Schülerin. »Und nun lege eine Melodie darüber, mit dem fünften Finger der rechten Hand …«
    »… Beginnend mit einem

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