Klang des Verbotenen
warm«, scherzte Montoya. »Ist denn schon wieder ein Jüngster Tag in Sicht?« Doch biss er auf Granit. Escarlati fand nichts lustig.
»Falls der Bursche dort recht hat, dann ja«, kommentierte Japón und zeigte mit dem Daumen rückwärts auf den davonschreitenden Propheten.
»Und ihr glaubt wirklich«, rief da Escarlati, »dass das verbrannte und zu Öl zerronnene Fleisch an jenem Jüngsten Tag wieder – sozusagen – ent-brennt, zu einem gesunden Körper wieder aufsteht und das flüssige Fett in Fontänen zurück aus dem Boden sprüht, erkaltet und sich erneut zu Festem zusammensetzt? Dies haltet ihr tatsächlich für möglich?«
Die beiden erschraken ob seiner Reaktion.
»So steht es nun einmal geschrieben«, sagte Japón nach einer Weile. » Ich habe mir das nicht ausgedacht.«
»Vieles steht geschrieben«, fügte Montoya hinzu, »in vielen Büchern, und wird erst in den Köpfen der Menschen zu Gift.«
»Ich muss das wissen«, sagte Escarlati, der schon einigen Rotwein getrunken hatte. Er klopfte auf die Theke, und seine Worte klangen wie ein Befehl. Montoya sah ihn voller Mitleid an, hob langsam die Schultern und schüttelte den Kopf.
»Wenn ich Philosoph wäre«, sagte Japón, »dann …«
»Das bist du doch«, sagte Domingo, wieder ruhiger.
»Und wenn ich die Auferstehung am Jüngsten Tag zu erklären hätte«, fuhr der Japaner fort, »oder zu begründen – nicht zu beweisen selbstverständlich –, dann würde ich wie folgt vorgehen. Hört zu.
Ist es nicht so, dass wir alle befürchten, die Früchte unserer Taten nicht mehr erleben zu können? Wir quälen uns im Schweiße unseres Angesichts – Zitat, o ja, ich habe euer heiliges Buch gelesen, das ja nun auch das meine ist, beziehungsweise zu sein hat – und können doch jederzeit aus dem Leben gerissen werden – mitten heraus. Überdies, wo bleibt da die Belohnung für unsere guten Taten? Angeblich soll sie im Himmel erfolgen, nun ja, dies mag so sein oder auch nicht. Bis jetzt allerdings haben wir den Himmel nur von unten gesehen, niemand, der drin war, kam je zurück. Das kann ein gutes, aber auch ein schlechtes Zeichen sein. Doch seht euch nur um! Die Bauern quälen sich auf kargem Feld, nur um nicht zu verhungern, beackern ihre ärmliche, staubige Scholle …«
»Du bist nicht nur Philosoph, sondern auch Dichter!«
»Jaja. Eltern legen sich krumm, damit ihre Kinder es einmal besser haben – und die Zustände verändern sich ja auch zum Guten!«
»Erst die Habsburger, dann die Bourbonen. Der Vizekönig in Lima, der Vizekönig in Napoli. Der Papst, die Protestanten – was soll’s?«
Japón ließ sich nicht beirren. »Es wird besser«, fuhr er fort. »Die Welt will irgendwohin. Neue Gerätschaften werden erfunden …«
»Die Garrotte.«
»… und erleichtern die Verrichtungen …«
»Sag ich doch.«
»… täglicher Arbeit. Ist es nicht so? Oder denkt an den Schiffbau. Was heute in den Atarazanas reales, den königlichen Werften drunten am Ufer, zusammengezimmert wird, davon konnte Colón nur träumen! Die Segler werden größer, schneller, sicherer, und die Kapitäne entdecken immer neue Welten …«
»Ist die Erde nun doch keine Kugel? Auf einem Globus gibt es nicht unendlich viel Raum. Das weiß sogar ich, der ich nicht an der Universität Mathematik studiert habe …«
»Curro, halt den Mund! Warte! … Also, immer neue Welten -ja, das ist nur ein Bild, ich weiß -, von denen neue und bessere Nahrungsmittel herangeschafft werden und Schätze und Gold. So nehmen Armut und Hunger ab oder werden dies bald tun. Gut, man sieht noch nichts davon, da gebe ich dir ja recht … Aber all dies bedeutet doch: Je später in der Zeit man lebt, desto besser wird man es haben. Das menschliche Leben bietet also nicht immer dieselben Möglichkeiten – am schlimmsten übrigens, dies folgt logisch aus dem Vorigen, muss es unmittelbar nach der Vertreibung aus dem Paradies gewesen sein, nicht wahr?
Doch ist das gerecht? Nein, das ist es nicht. Beziehungsweise wäre es nicht, würden die Waagschalen nicht zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal neu und endgültig austariert, und zwar für alle, die je auf dieser Erde gewandelt sind.«
»Oder gesessen, geritten, gehinkt, gekrochen, ge…«, sagte Curro, der nicht ganz bei der Sache war. Doch Japón setzte zum Schluss an: »Und dies ist der wahre Grund für unsere Auferstehung am Jüngsten Tag! Dann wird Gott allen zeigen: Da! Seht her, dafür habt ihr gelitten, wurdet ihr gequält, dafür seid
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