Klar Schiff zum Gefecht
Seeleute Laschings festzurrten, beschädigte Taue erneuerten oder sich auch nur vergewissern wollten, ob die Kameraden noch lebten.
Die ganze Nacht lang peitschte der Wind über sie hin und trieb sie mehr und mehr nach Südosten ab.
Stunde um Stunde starrte Bolitho auf den Kompaß, oder er taumelte unter Deck, um den Schiffsort auf der Seekarte einzutragen. Es gab für ihn weder Ruhe noch Erleichterung. Er fühlte sich so zerschlagen und krank, als ob er im Gefecht gestanden hätte oder halb ertrunken aus der See gefischt worden wäre. Trotz seiner Erschöpfung dankte er Gott, daß er nicht versucht hatte, nur unter einem Marssegel beizuliegen und den Sturm abzureiten. Bei dieser Wucht von Wind und See hätte sich die Sparrow niemals halten können. Vielleicht wäre sie backgeworfen und entmastet worden, bevor noch jemand begriffen hätte, wie stark der Sturm tatsächlich war.
Doch in all dem Toben brachte es Bolitho fertig, die Seetauglichkeit der Korvette zu bewundern. Allerdings war das Schiff für jedermann höchst ungemütlich. Ob die Leute mit den schlagenden Segeln kämpften oder ob sie wie Ratten in der Kloake im wirbelnden Bilgenwasser an den Pumpen arbeiteten, die Schiffsbewegungen machten ihr Leben fast unerträglich. Höher, immer höher schraubte sich der Rumpf und krachte dann donnernd hinunter in die nächste Woge. Jede Spiere, jede Planke bebte, als ob sie sich aus dem Schiff losreißen wollten. Lebensmittel, geliebte Souvenirs der Seeleute, Kleidungsstücke, all das brandete in wilder Ausgelassenheit die Decks entlang. Aber nicht ein Geschütz riß sich aus seiner Lasching los, kein Bolzen brach, und nicht ein einziges Luk wurde durch überkommende Seen eingedrückt. Die Sparrow ertrug alles und begegnete jedem Angriff mit der taumelnden Rauflust eines betrunkenen Matrosen. Um die Zeit der ersten grauen Morgendämmerung begann der Seegang nachzulassen, und als die Sonne kraftlos über den Horizont stieg, hatte sich das Meer schon so beruhigt, daß die Stunden der Nacht nur noch wie ein vergangener Alptraum erschienen.
Der Wind war wieder auf Nordwest umgesprungen. Aus salzverkrusteten Augen starrten die Seeleute auf die Flecken blauen Himmels, die zwischen den Wolken auftauchten. Sie wußten, daß sie wieder einmal das Schlimmste überstanden hatten.
Bolitho war sich darüber im klaren, daß seine Leute sich stundenlang nicht mehr rühren konnten, wenn er ihnen jetzt eine Ruhepause gönnte. Er schaute auf das Geschützdeck hinunter und sah ihre übermüdeten Gesichter und zerrissenen Kleider. Die Toppsgasten hatten vom wiederholten Aufentern und vom Kampf mit den starr gewordenen Segeln klauenartig verkrampfte Hände.
»Das Kombüsenfeuer soll angezündet werden«, sagte Bolitho.
»Die Leute müssen sofort etwas Warmes zum Essen bekommen.«
Er schaute auf, als ein Sonnenstrahl die oberen Rahen streifte, so daß sie über der schwindenden Dunkelheit wie ein dreifaches Kruzifix aufleuchteten. »Es wird wohl bald wieder heiß werden, Mr. Tyrell. Lassen Sie über jedem Luk Windsegel aufriggen und die Geschützpforten in Luv öffnen.«
Seine salzverbackenen Lippen verzogen sich zu einem mühseligen Lächeln.
»Ich nehme an, daß Sie heute Ihre üblichen Sorgen um das Aussehen des Schiffes vergessen und den Leuten erlauben, ihre Kleider zum Austrocknen aufzuheißen.«
Graves kam aufs Achterdeck und tippte an seinen Hut.
»Seemann Marsh ist verschwunden.« Er schwankte und fügte bekümmert hinzu: »Vortoppsgast, Sir.«
Bolithos Augen schweiften über den Horizont. Der Mann mußte während der Nacht über Bord geschleudert worden sein, und sie hatten nicht einmal einen Schrei gehört. Aber das war ohnehin gleichgültig, sie hätten ja doch nichts unternehmen können, um ihn zu retten.
»Danke, Mr. Graves. Tragen Sie es bitte ins Logbuch ein.«
Er beobachtete immer noch die See, über die sich die Nacht vor dem ersten Goldschimmer des Morgens wie ein Mörder zurückzog. Der Seemann war irgendwo dort draußen, er war tot, und kaum jemand dachte an ihn. Seine Kameraden vielleicht und ein paar Angehörige daheim, die er vor langer Zeit verlassen hatte.
Er schüttelte sich und wandte sich an den Steuermann. »Mr. Buckle, ich hoffe, daß wir heute unseren Schiffsort bestimmen können. Irgendwo südwestlich der Bermudas wahrscheinlich.« Er lächelte freundlich über Buckles düsteres Aussehen. »Aber ich weiß nicht, ob fünfzig oder fünfhundert Meilen.«
Bolitho wartete noch eine Stunde, dann
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