Klara Fall, der Lakritzräuber und ich
ein paar Tage Urlaub genommen.
„Papa ist Übersetzer, er arbeitet zu Hause“, erklärte sie. „Und Mama gibt’s nicht. Also, jedenfalls nicht mehr bei uns. Sie ist Französin und vor drei Jahren zurück in ihre Heimat gezogen. Deshalb sind Papa und ich nur zu zweit. So wie ihr auch.“
Verblüfft sah ich sie an. Woher wusste Klara, dass Mama und ich alleine lebten?
Sie grinste. „Also, das war nun wirklich leicht, Jannis!“ Sie zählte auf: „Nur Frauen- und Jungsschuhe vor der Tür, Fußmatte in Herzform, lila gestrichener Flur – kombiniere: kein Vater im Haus!“
Jetzt musste ich auch grinsen. „Du hast Recht!“
„Klar hab ich Recht.“
Klaras Vater war ein großer schlaksiger Typ mit verwuschelten Haaren, zerstreutem Blick und einem netten Lächeln. Als er hörte, dass wir uns einen der alten Miss-Marple-Filme ansehen wollten, wiegte er den Kopf. „Hm, ich weiß nicht. Das sind ja eigentlich keine Filme für Kinder. Nachher steigen mir deine Eltern aufs Dach, Jannis …“
„Keine Sorge, er lebt mit seiner Mutter allein. Und die ist total nett“, versicherte Klara schnell. „Und du kannst ja mitgucken. Wie wär’s mit 16.50 ab Paddington? “ Klara zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Das ist Papas Lieblingsfilm.“
„Also gut.“ Klaras Vater lachte. „Überredet. Dann arbeite ich eben heute Abend etwas länger.“ Er warf sich auf die Couch und griff nach der Fernbedienung. „Los geht’s …“
Die nächsten anderthalb Stunden vergingen wie im Flug. Der Miss-Marple-Film war nämlich echt spannend und auch ganz schön lustig. Miss Marple sieht aus wie ein dickes Frettchen, aber – hey! – als Detektivin hat sie es echt drauf!
Der Film fängt damit an, dass Miss Marple zufällig beobachtet, wie in einem vorbeifahrenden Zug jemand erwürgt wird (da haben Klara und ich nicht hingeguckt, weil das echt ein bisschen gruselig war). Natürlich alarmiert Miss Marple die Polizei, aber keiner glaubt ihr, nur weil sie schon ziemlich alt und schrullig ist. Und da beginnt sie eben selbst zu ermitteln. Irgendwie kriegt sie raus, dass die Frau in dem Zug zu einer stinkreichen Familie aufs Land wollte. Und um da heimlich rumschnüffeln zu können, nimmt Miss Marple kurzerhand einen Job als Hausangestellte bei dieser Familie an. Sie startet also eine Art „verdeckte Ermittlung“.
Während Miss Marple da so rumschnüffelt, passieren noch ein paar ziemlich unheimliche Sachen. Aber jedes Mal, wenn’s richtig heikel wird, hilft ihr ihr Freund Mister Stringer. Der ist nämlich inzwischen aus London angereist, weil er sich Sorgen um Miss Marple macht. Ich denk mal, er ist in sie verknallt, aber mehr so heimlich. Und für eine Liebesgeschichte ist in dem Film auch nicht viel Zeit, weil Miss Marple ja ständig ermitteln muss. Am Ende kriegt sie den Mörder, einen Heiratsantrag (nicht von Mister Stringer) und ein Lob vom Kommissar. Kein Wunder, dem hat sie ja die ganze Arbeit abgenommen.
„Und? Wie fandest du’s?“, fragte Klara gespannt, als der Film zu Ende und ihr Vater wieder an seinen Laptop zurückgekehrt war.
„Super!“, sagte ich.
„Nicht war?“ Klara strahlte. Dann beugte sie sich verschwörerisch zu mir herüber. „Du, aus dem Film können wir uns doch echt viel abgucken, oder?“
Ich seufzte innerlich. Jetzt würde sie gleich wieder mit ihrem komischen Lakritz-Fall anfangen …!
Tatsächlich verknotete Klara ihre dünnen Beine zum Schneidersitz und starrte nachdenklich vor sich hin. „Ich hab eine Idee“, verkündete sie schließlich.
Oje …
„Wir schleichen uns ein!“
„Wo?“
„Na, bei dem Lakritzräuber natürlich!“ Klara sah mich wieder mal an, als sei ich begriffsstutzig. „Wir bieten ihm an, mit seinem Hund Gassi zu gehen. Der hat ja eindeutig zu wenig Auslauf, so wie der immer bellt! Und dabei schauen wir uns unauffällig in der Wohnung um.“
Na toll! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Lakritzräuber uns Gelegenheit geben würde, in seiner Wohnung herumzuschnüffeln. „Und was suchen wir?“
Klara machte eine unbestimmte Handbewegung. „Spuren natürlich: Geld aus der Beute! Lakritzbonbons … Wer weiß, vielleicht finden wir sogar die Maske, die er bei dem Überfall auf die Tankstelle getragen hat!“ Sie klatschte in die Hände. „Eine perfekte verdeckte Ermittlung! Genau wie bei Miss Marple!“
Das konnte ja heiter werden …
Klara wollte keine Zeit verlieren. Sie befürchtete, dass der mutmaßliche Räuber sonst
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