Klassentreffen (German Edition)
sah.
»Ja.« Franzi schluckte. »Ich musste nur gerade an meinen Vater denken.«
»Ich habe damals von meiner Mutter gehört, was passiert ist.« Meike ergriff Franzis Hand. »Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe.«
Franzi blieb kurz stehen. Meikes Hand in ihrer fühlte sich gut an, vertraut. Sie gab ihr Kraft. »Es war wirklich ein schwerer Schlag für mich. Die Diagnose kam so plötzlich, und dann ging alles so schnell.« Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung. »Aber lass uns von etwas anderem reden.«
Meike hielt noch immer Franzis Hand fest. Ihre Finger flochten sich ineinander, als seien sie genau dafür gemacht. Schweigend liefen sie eine Weile nebeneinander her, atmeten die frische Waldluft ein. Franzi ließ ihren Blick zwischen den Bäumen umherschweifen, um die Rehe und Hirsche zu erspähen. Immer wieder entdeckte sie tatsächlich ein Tier, das sich in dem dichten Wald unbeobachtet wähnte. »Das Wildgehege habe ich in Braunschweig vermisst«, durchbrach sie irgendwann die Stille. »Da gibt es zwar auch eins, aber das hier ist eindeutig schöner.« Sie trat gegen einen kleinen Stock.
Meike ließ Franzis Hand los und hakte sich dafür bei ihr unter. »Du hast bisher fast gar nichts von Braunschweig erzählt.«
Franzi krauste die Stirn. »Was möchtest du denn wissen?«
»Was möchtest du mir denn erzählen?«
Franzi holte tief Luft. Normalerweise vermied sie es, über ihr Leben in Braunschweig zu sprechen, weil es unweigerlich zu Isabel führte und zu dem Schmerz, der sie jedes Mal stärker traf als erwartet. Aber sie war Meike Offenheit und Ehrlichkeit schuldig und konnte diesem Gespräch nicht immer davonlaufen. »Tja, zunächst verlief mein Leben in Braunschweig ziemlich unspektakulär. Ich habe mir nach dem Abi eine kleine Wohnung gesucht. Eine WG wäre nichts für mich gewesen. Die meiste Zeit war ich ohnehin an der Uni. In einem Seminar habe ich bald Cori kennengelernt. Ein großes Glück.« Franzi grinste bei dem Gedanken an ihre verrückte Freundin. »Wir sind schnell beste Freundinnen geworden. Gemeinsam haben wir unser Uni-Leben genossen. Viel gefeiert, aber genauso viel gelernt.«
Meike knuffte Franzi in die Seite. »Du und lernen?«
»Kaum vorzustellen, was?« Franzi hob verschwörerisch eine Augenbraue. Ihre Schritte wurden langsamer. »Und dann trat Isabel in mein Leben. Wie ein Blitz schlug sie ein, hat alles auf den Kopf gestellt.« Franzis Herz klopfte schneller.
Meike blieb stehen und löste sich von Franzi. »Wie hast du sie kennengelernt?«, fragte sie leise.
»Isabel war Buchhändlerin, und ich war auf der Suche nach einer romantischen Liebesgeschichte . . . eigentlich nur auf dem Papier. Dass das wirkliche Leben eine für mich bereithalten könnte, diese Idee hatte ich zu diesem Zeitpunkt erst einmal aufgegeben. Und plötzlich stand Isabel vor mir. Sofort war es um mich geschehen.« Franzi spürte ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust. Zu genau erinnerte sie sich noch an diesen Nachmittag, der ihr Leben für immer verändert hatte. »Wir sind schnell ins Gespräch gekommen – auch über das Fachliche hinaus. Irgendwann habe ich sie gefragt, ob wir nicht abends essen gehen wollen. So sind wir ein Paar geworden.« Ihre Stimme wurde brüchig. »Neun Jahre lang haben wir fast keinen Tag getrennt verbracht. Wir sind ziemlich schnell zusammengezogen, haben gemeinsame Zukunftspläne geschmiedet. Als ich fertig mit dem Studium war, habe ich mir einen Job in Braunschweig gesucht.« Franzi legte den Kopf in die Hände. »Wir wollten heiraten.« Sie zitterte am ganzen Körper. »Und dann . . .« Sie brach ab.
Meike legte ihren Arm um Franzi. Behutsam strich sie ihr übers Haar. »Ach, Franzi.«
Franzi wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen. Das war ja großartig. Jetzt war sie mit der Frau zusammen, die ihre Gefühle durcheinanderbrachte, zu der sie sich auf eine fast vergessene Art hingezogen fühlte – und ihr fiel nichts Besseres ein, als von ihrer vergangenen großen Liebe zu erzählen. Was sollte Meike nun denken?
»Du hast sie sehr geliebt, oder?« Meikes Finger streichelten Franzis Arm entlang.
Zu mehr als einem Nicken war Franzi nicht in der Lage, sonst wäre sie in Tränen ausgebrochen. Isabel nahm immer noch einen großen Platz in ihrem Herzen ein, auch wenn ihr Tod nun zwei Jahre zurücklag. So eine lange gemeinsame Zeit konnte man nicht einfach vergessen.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher