Klassentreffen (German Edition)
niemals zuvor. Aber wenn ihr Vater das wüsste . . . Laut klirrend fiel eine Gabel zu Boden.
Claudia nahm Meike in den Arm. »Du kannst immer zu mir kommen, wenn dich irgendetwas bedrückt. Das weißt du.«
»Danke.« Meike lehnte sich an Claudias Schulter. »Es ist alles in Ordnung«, log sie tapfer.
~*~*~*~
M eike starrte auf den Telefonhörer in ihrer Hand. Sie sehnte sich nach Franzis Stimme, wollte mit ihr reden, ihr von ihrem Tag erzählen, hören, wie Franzis Wochenende gewesen war. Sollte sie oder sollte sie nicht?
Schon zum zweiten Mal begann sie zu wählen.
Nachdem sie endlich von diesem unsäglichen Besuch bei ihren Eltern zurück nach Hause gekommen war, hatte sie kaum an etwas anderes denken können als an Franzi. Sie hatte sich für zwei Stunden an den Schreibtisch gesetzt und versucht, Klassenarbeiten zu korrigieren. Aber es hatte ihr nicht gelingen wollen, sich darauf zu konzentrieren. Franzi und das Altstadtfest waren ihr ständig im Kopf herumgespukt, hatten sich immer wieder von neuem in ihre Gedanken geschlichen – mal heimlich, still und leise, dann laut und gewaltig wie ein Paukenschlag. Schließlich hatte Meike aufgegeben. Doch auch auf der Couch mit einer Tasse Kaffee und einem Buch hatte sie keine Ablenkung gefunden. Von jeder Seite aus hatte Franzi sie angelächelt.
Franzi und sie waren Freundinnen. Einfach gute Freundinnen. Seit Meike aus Hannover nach Goslar gezogen war, hatte sie außer an der Schule und ihrer Familie keine sozialen Kontakte gehabt, aber mit Franzi hatte sie hier im Ort endlich Anschluss gefunden. Sie hatte einfach die Freundschaft mit ihrer ehemaligen besten Freundin wieder aufleben lassen. Das war alles. Das andere . . .
Meike schluckte. Dieser Kuss . . . Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinunter, als sie daran dachte. Beim ersten Mal waren sie betrunken gewesen, aber beim zweiten Mal . . . Dafür gab es keine Ausrede. Konnte es doch sein, dass sie sich in Franzi verliebt hatte? In eine Frau?
Meike drückte den roten Hörer. Die Zahlen verschwanden aus dem Display.
Das war doch albern, ermahnte sie sich. Sie waren doch keine kleinen Kinder mehr. Erneut tippte sie Franzis Nummer ein, und dieses Mal ertönte das Freizeichen.
»Hallo«, meldete sich Franzi kurz darauf.
Die vertraute Stimme ließ Meike zusammenzucken. Dieses eine Wort reichte aus, um ihr Innerstes zum Beben zu bringen. »Hallo, Franzi«, bemühte sie sich um einen ruhigen Tonfall, während ihre Finger an den Knöpfen ihrer Bluse nestelten.
»Ich hätte nicht damit gerechnet, so schnell etwas von dir zu hören«, gestand Franzi.
»Du . . . Ich . . .«, stammelte Meike. Ihre feuchte Hand umklammerte den Hörer fester. Sie atmete tief durch. Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zu ordnen, über ihre Gefühle zu sprechen – genau genommen, stellte sie plötzlich fest, war es ihr unmöglich. Also fragte sie nur: »Wie war dein Wochenende?«
»Meike, lenk nicht ab«, forderte Franzi, die den tieferen Grund für Meikes Anruf sofort zu durchschauen schien. »Was stellst du dir vor? Wie soll es weitergehen mit uns?«
»Ach, Franzi . . .« Meike rieb sich mit den Fingern über ihre Schläfe. Ihr Kopf schien randvoll mit Dingen, die sie Franzi sagen wollte, sagen sollte, aber . . . »Ich mag dich.«
»Du magst mich«, wiederholte Franzi Meikes Worte. »Was heißt das?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Meike wahrheitsgemäß. In ihrer Stimme schwang all ihre Unsicherheit mit. Sie kaute auf ihrer Unterlippe.
»Wir hatten das doch schon einmal. Wir sollten nicht wieder fünfzehn Jahre darüber schweigen.«
»Du . . . ich muss noch ein bisschen weiterarbeiten und den Unterricht für morgen vorbereiten«, wich Meike aus. Es war eine glatte Lüge, aber das war ihr egal. Es brachte überhaupt nichts, mit Franzi zu sprechen. Das wurde ihr nun klar. Ihre Welt war schon genug aus den Fugen geraten. Jedes Wort machte es nur noch komplizierter.
»Gut, dann mach das. Wie du meinst. Aber . . .«, unternahm Franzi noch einen Versuch.
»Zum Glück habe ich morgen nur sechs Stunden und um zwei schon frei«, unterbrach Meike sie. Sie wollte nicht hören, was Franzi zu sagen hatte.
»Ja, schön.« Franzis Stimme klang mit einem Mal reserviert.
»Bitte, Franzi. Lass uns nicht am Telefon reden . . . darüber reden.« Meike wurde schwindelig, sie musste sich in den Sessel setzen. Sie konnte es einfach nicht – mit Franzi über ihre Freundschaft sprechen und, was noch
Weitere Kostenlose Bücher