Klassenziel (German Edition)
Plötzlich steuerte Billie auf ihn zu, gefolgt von ihren derzeitigen Kabinettsmitgliedern. Sie sprach ihn an. Billie Erkens sprach meinen Bruder Nick an!
Ich war zu weit entfernt, um irgendwas verstehen zu können, aber ich sah, dass sie lächelte und dass sie ihr Haarband rauszog und wieder neu verknotete. Von weitem sah es aus, als würde mein Bruder dabei total unberührt bleiben, aber ich kannte ihn einfach zu gut, um die kleinen Details zu übersehen – zum Beispiel wie er sich nervös am Ohrläppchen zupfte. Die Unterhaltung der beiden dauerte vielleicht zwei Minuten, dann rauschte Billie ab.
An diesem Abend kam Dominik gegen halb zehn nach Hause. Ich lag rücklings auf dem Bett, hielt meine Gitarre im Arm und feilte an dem Song, den ich gerade schrieb.
«Schönen Gruß von Billie Erkens», sagte Nick.
Ich tat überrascht. «Ach ja? Danke!»
«Ich soll dir sagen, dass sie euch für ihre Geburtstagsparty jetzt doch nicht mehr braucht. Sie hat eine Zusage von Feuerherz bekommen.»
Feuerherz war eine Deutschrockband aus der Gegend. Der Bassist war mal auf unsere Schule gegangen. Auf ihrer Facebook-Seite stand, dass sie sich an Vorbildern wie Juli und Silbermond orientierten. Ich fand sie … tja, zum Kotzen. Aber im Gegensatz zu den Burst Frenchies waren Feuerherz ziemlich angesagt. Sie hatten schon bei vier oder fünf größeren Festivals gespielt, und auf den Ankündigungsplakaten rutschte ihr Name immer weiter nach oben.
Billies Musikauswahl für ihre Geburtstagsparty sagte eine Menge über ihren Geschmack aus, aber ich nehme mal an, in erster Linie wollte sie mir damit eine reinwürgen. Was ihr auch gelungen war. An dieser Niederlage musste ich erst mal ein bisschen rumkauen. Und wie sollte ich das Ramon und Till beibringen?
«Bin ja mal gespannt. Marek hat die schon mal live gesehen. Der sagt, die machen ’ne Wahnsinnsshow», fuhr Dominik fort. Was für ein Taktgefühl! In mir wütete noch die Zurückweisung, deshalb dauerte es ein bisschen, bis ich reagierte: «Wie gespannt? Gehst du da hin oder was?»
«Ja, klar. Billie hat mich eingeladen.» Nick ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen.
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D er Biologielehrer heißt Romanek und ist ein Schönling mit einem Faible für Markenklamotten. Er hat blonde Haare, mit Gel nach hinten gekämmt, und trägt Edeljeans, ein Lacoste-Poloshirt und ein Leinenjackett. Ich vermute, dass eine ganze Menge Mädchen aus meiner Klasse auf ihn abfahren. Und außerdem vermute ich, dass er die meisten von denen auch nicht von der Bettkante schubsen würde. Abgesehen davon ist er aber eigentlich ganz nett.
In Ethik komme ich ein bisschen aus mir raus; das war immer schon eins meiner Lieblingsfächer. Ich liefere mir ein Argumentationsduell mit Emily. Es geht um Idole und Vorbilder, und sie ist der Meinung, man bräuchte die zur eigenen Orientierung. Mein Standpunkt ist, dass man alleine rauskriegen muss, wer man ist, und andere sowieso nicht eins zu eins kopieren kann, selbst wenn man sie toll findet.
«Aber man braucht doch Richtlinien!», sagt Emily. «Man guckt doch, wie ein anderer was macht, der es besser kann, und dann versucht man, das genauso zu machen!»
«Ja, sicher», sage ich, «aber doch nicht nur bei einem Einzigen. Oder bei einigen wenigen. Ich kann mir doch von jedem ein bisschen abgucken. Das heißt, ich orientiere mich zwar an anderen, die besser sind als ich, aber deshalb hab ich noch lange kein Idol oder Vorbild.»
«Wieso denn nicht? Es kann doch sein, dass es jemanden gibt, den ich total bewundere! In jeder Hinsicht!»
«Dann würde das ja heißen, dass ich alles toll finde, was der macht», halte ich dagegen.
«Das ist ja Quatsch», sagt Emily, und dieser Spruch ist bekanntlich rhetorischer Selbstmord.
S eit mein Vater ausgezogen war, hatten weder Nick noch ich ein Wort mit ihm gewechselt. Dabei rief er oft an. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen deswegen, aber nachdem ich einmal in diese Verweigerungsschiene geraten war, wusste ich nicht so recht, wie ich wieder auf ihn zugehen sollte.
Außerdem kochte immer wieder mal die Wut in mir hoch, weil er uns verlassen und abgewiesen hatte. Und wegen seiner Feigheit, einfach zu gehen, sich nicht mal der Auseinandersetzung zu stellen. Ich meine, er hätte ja seine Geliebte mal mit nach Hause bringen können, um sie uns vorzustellen. Dann hätten wir uns eine eigene Meinung bilden können. Aber wenn ich ehrlich bin, wäre das wahrscheinlich doch keine so gute Idee
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