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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
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war, wie er tat. Ich wusste auch, dass er es eigentlich kaum abwarten konnte, mir mehr zu sagen. Vielleicht waren wir uns schon Ewigkeiten nicht mehr so nah gewesen wie in diesem Augenblick.
    Wenn ich jetzt nachgehakt hätte, ich bin sicher, er hätte mir alles erzählt. Dass Marek seinem Cousin eine funktionstüchtige AN-94 mit Munition abgekauft hatte. Dass Nick und Marek seit Wochen übten, das Gewehr auseinanderzunehmen und wieder zusammenzubauen. Dass sie vor ein paar Tagen ein abgelegenes Areal in den Süchtelner Höhen gefunden hatten, wo sie Schießübungen machten. Wie viel heftiger als erwartet der Rückstoß war und wie viel lauter der Knall und wie unglaublich geil es sich trotzdem anfühlte, eine Hightech-Waffe abzufeuern, die mühelos Baumstämme durchschlug. Und dass er eigentlich stolz auf seinen Streifschuss am Knie war, obwohl die Kugel ebenso gut seine Eingeweide hätte zerfetzen können.
    Ich bohrte nicht nach. Und ich weiß, dass das ein Fehler war.

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    36
    A uf die freien Plätze neben Maxi setzen sich jetzt zwei Jungs aus unserer Klasse. Elias ist ein unscheinbares Bübchen und wirkt jünger als die anderen. Giovanni hat schwarze Locken, trägt eine Brille mit Silberrand und hält sich für einen begnadeten Komiker. «Na, Maxi-King, willst du dir noch eine dritte Portion holen?» Er reißt einen schalen Witz nach dem anderen. Die meisten davon zielen auf Maxis Übergewicht ab.
    Ich weiß, ich sollte irgendwas sagen. Ich sollte ihn bremsen und ihm klarmachen, dass ich seine Sprüche total scheiße finde. Früher hätte ich das schon nach dem ersten Satz getan. Jetzt hab ich bloß Angst, dass er dann mich statt Maxi zur Zielscheibe macht, und das kann ich gerade wirklich nicht gebrauchen.

    D er Zug hatte fast vierzig Minuten Verspätung, aber mein Vater stand mit einem strahlenden Lächeln auf dem Bahnsteig und schloss uns beide in die Arme. Unter seiner Berührung kriegte ich weiche Knie und drückte mich noch ein bisschen fester an ihn. Dominik dagegen versteifte sich und drehte das Gesicht weg, als würde mein Vater nach toten Fischen riechen.
    Wenn wir als Kinder müde und quengelig wurden, fragte mein Vater: «Na, was haltet ihr von einem riesengroßen Eisbecher?», und meistens funktionierte diese Methode. Inzwischen waren wir mit Eis nicht mehr zu ködern, aber er machte auch keine Anstalten, mal ein klärendes Gespräch zu führen. Dass Nick die ganze Zeit schwieg, wegguckte und die Lippen aufeinanderpresste, ignorierte er einfach.
    Also musste ich die Konversation übernehmen. Schon nach den ersten Minuten war ich wieder in meine übliche Familienrolle reingerutscht: der unkomplizierte Sonnenschein, der zwischen den wohlmeinenden Eltern und dem verstockten ältesten Sohn vermittelt.

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    37
    E ndlich lässt Giovanni Maxi in Ruhe und guckt stattdessen mich an. «Und, schon eingelebt?» Er sagt es so provokativ, dass ich am liebsten gar nicht antworten würde. «Geht so», erwidere ich knapp.
    «Ist wahrscheinlich echt ein Kulturschock, so vom Land in die Großstadt zu kommen, was?»
    O Mann. Der Typ nervt wirklich.
    «Benjamin sucht Leute für eine neue Band», erzählt Maxi. Ich weiß nicht, ob er das sagt, um mich zu retten, oder weil er einfach naiv ist.
    «Echt? Du hattest mal ’ne Band?» Giovanni tut gelangweilt, aber man hört den Neid raus.
    «Ja. Bis ich, bis ich, umgezogen bin.»
    «Und die rocken jetzt da auf dem Land ohne dich weiter», grinst Giovanni.
    Mir schnürt sich die Kehle zu. «Nee, die haben sich, die haben sich aufgelöst.» Am liebsten würde ich jetzt rausrennen und mich erst mal eine halbe Stunde im Klo einschließen. Ich denke an meinen letzten Auftritt mit Till und Ramon. An unseren größten Erfolg. Plötzlich kann ich das Essen auf meinem Teller nicht mehr ertragen. Ich breite die Serviette darüber wie ein Leichentuch.

    I m Zug hatte ich mir ausgemalt, dass wir uns als Erstes mal zusammensetzen und über alles reden würden: warum meine Eltern sich getrennt hatten, wie es weitergehen sollte, mit wem mein Vater jetzt zusammen war, ob wir uns in Zukunft regelmäßig sehen würden. Ich hatte mir schon ganze Sätze zurechtgelegt, die ich sagen wollte: «Papa, ich hab dich trotzdem lieb. Ich vermiss dich, echt. Können wir uns so oft wie möglich sehen?»
    Kaum war ich in sein Auto eingestiegen, hätte ich mir lieber die Zunge abgebissen, als so was zu sagen. Es war alles genau wie immer, und ich musste bescheuert

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