Klassenziel (German Edition)
würden sich einfach hemmungslos beschimpfen und anschließend wieder versöhnen, und alles wäre gut. Stattdessen gingen sie miteinander um wie die diplomatischen Vertreter von zwei verfeindeten Nationen. Und Nick und ich, wir waren die Bevölkerung. Aber wir hatten nicht mal ein Wahlrecht. Als mein Vater endgültig ging, weigerte ich mich, von ihm Abschied zu nehmen.
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D ie einen bleiben an der Bushaltestelle stehen, die anderen verschwinden in der S-Bahn-Station, und ich gehe alleine weiter nach Hause. Ich versuche mir vorzustellen, was meine Mitschüler heute Nachmittag noch so machen. Treffen sie sich mit Freunden? Haben sie Reitstunden oder Klavierunterricht oder Nachhilfe? Setzen sie sich an ihre PCs und chatten? Ich bin deprimiert und fühle mich ausgeschlossen. Das ist hier alles noch so fremd. Ich bin kein Einzelgänger, so viel steht fest. Ich brauche Freunde, um mich wohl zu fühlen.
B illie Erkens war gewohnt zu kriegen, was sie wollte. Zurzeit stand ich auf ihrem Wunschzettel ziemlich weit oben. Sie tauchte immer öfter «rein zufällig» da auf, wo ich auch war. Wenn ich von der Musikschule nach Hause ging, kam sie um die Ecke. Wenn ich mir in der Pause was zu trinken kaufte, wartete sie hinter mir an der Supermarktkasse. Und als die Burst Frenchies bei einem lokalen Band Contest auftraten, stand sie in der vordersten Reihe.
Natürlich nicht alleine. Ich glaube, ich hatte Billie noch nie ohne Begleitung gesehen. Bei unserem Gig zum Beispiel waren sie zu fünft, aber nur Billie hatte die Lizenz für einen Ausschnitt, der ihr fast bis zu den Knien ging. Von meinem erhöhten Bühnenstandort konnte ich da sehr gut reingucken.
Es ist schwer, in solchen Situationen ausschließlich mit dem Kopf zu denken. Ich schaffte es jedenfalls nicht. Nach unserem Auftritt wechselte ich ins Publikum, um mir die Bands anzusehen, die gegen uns antraten, und geriet dabei irgendwie in Billies Einzugsgebiet. Ohne es richtig zu merken, hatte ich ihr schon den Arm um die Schultern gelegt, und bis zum ersten wilden Kuss dauerte es dann nur noch ein paar Minuten. Es kam mir vor, als würde sie nach Plastik schmecken. Vielleicht war das ihr Lippenstift. Gebremst hat mich das allerdings nicht.
Billie war zu allem bereit, was man zu zweit in der Öffentlichkeit machen kann, ohne von der Polizei abgeführt zu werden. Sie ließ mich ihre Brüste anfassen und ihren Hintern kneten, und dabei küsste sie mich sogar noch wilder, als wenn sie mich ermutigen wollte. Ein paarmal musste ich mich fast mit Gewalt von ihren Lippen losreißen, um nach Luft zu schnappen.
Nach der Juryentscheidung – wir machten Platz fünf von sieben – dirigierte sie mich nach draußen in den kleinen Park neben der Halle. Ihre Schleppenträgerinnen waren verschwunden. Wahrscheinlich hatte irgendein Zauberspruch sie mit einem Knall in Luft aufgelöst.
«Komm», sagte Billie und zog mich auf eine Bank in einem Heckenrondell, die sogar bei Tageslicht ziemlich gut vor Blicken geschützt war. Sie setzte sich rittlings auf meinen Schoß und ließ meine zittrigen Hände unter ihr T-Shirt wandern. Das ging alles so schnell, dass ich mich nicht mal mehr dran erinnerte, ob ich nun eigentlich auf sie stand oder nicht.
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M ein Vater ist noch arbeiten. Im Haus ist es still und kühl. Ich gehe in mein Zimmer und rufe meine Mutter an. Scheint so, als hätte sie schon drauf gewartet. «Erzähl! Wie war’s?»
«Och, na ja.» Ich seufze. «Also, eigentlich ganz okay. Französisch war total scheiße, da muss ich ganz viel nachholen, glaub ich.» Ich erzähle auch von den anderen Fächern und von den Leuten, die ich kennengelernt habe. Nach drei oder vier Minuten sagt meine Mutter: «Ich muss Schluss machen, Schatz. Da ist ein Gespräch in der anderen Leitung. Ich ruf dich heute Abend noch mal an, ja?»
Natürlich kann sie während der Arbeit nicht stundenlang mit mir quatschen, aber trotzdem bin ich ein bisschen enttäuscht. Ich überlege eine Weile, wen ich noch anrufen könnte. Mir fällt keiner ein. Also fahre ich meinen Laptop hoch, hole meinen Schreibblock aus dem Rucksack und tippe die Webadresse, die Frau Brüninghaus mir aufgeschrieben hat, in die Browserzeile ein.
A m Tag nach dem Band Contest rief ich Billie an. Sie hatte mir ihre Handynummer mit Kajalstift auf den Bauch gemalt. Ich war zwar so schlau gewesen, sie vor dem Duschen auf ein Blatt Papier zu übertragen, aber nicht schlau genug, um erst mal
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