Klassenziel (German Edition)

verteidigt habe.

    A m Samstagabend stand Dominik plötzlich vor mir und fragte: «Kann ich so gehen?» Er hatte sich ein neues Hemd gekauft. Und gar kein so übles. Schwarz-rot kariert, die Farbe stand ihm. Er war beim Friseur gewesen. Er trug schwarze Sneakers, die ich erst zwei- oder dreimal an ihm gesehen hatte. Und er hatte Rasierwasser benutzt oder so was, jedenfalls wehte irgendein herber Duft um ihn rum.
    «Wohin?», fragte ich. Ehrlich, ich hatte seine Einladung zu Billies Party total vergessen. Oder wahrscheinlich verdrängt.
    Nick lachte mich aus. Ich wüsste doch ganz genau, dass er bei Billie eingeladen wäre. Ich würde mich bloß dämlich stellen. Das wäre in Wirklichkeit nur die reine Eifersucht, stichelte er. Ich konnte nicht ganz ausschließen, dass er recht hatte, und verteidigte mich lieber nicht.
    Stattdessen guckte ich ihn mir noch mal von oben bis unten an und sagte: «Hemd aus der Hose.»
    «Was?»
    «Nimm das Hemd raus! Man steckt so was nicht in den Hosenbund, Alter.»
    «Wieso denn nicht?», fragte er, tat aber, was ich ihm geraten hatte.
    Ich nickte zufrieden. «Ja, schon viel besser. Viel Spaß, Mann.»
    Ich blieb allein zu Hause. Meine Mutter war zu ihrer Freundin nach Krefeld gefahren, Dominik war in der Trafo-Station, und mit Till und Ramon wollte ich vorläufig nichts mehr zu tun haben. Ich meine, ich war nicht mehr richtig sauer auf sie, aber wenn wir diesen Abend zusammen verbracht hätten, wären sie am Ende vielleicht doch noch auf dumme Ideen gekommen, und ich hätte mich womöglich nicht wegklemmen können. Ab Montag konnten wir ja wieder in den Peace-Modus schalten.
    Ich fuhr meinen PC hoch und guckte nach, was bei Facebook so los war. Wenig natürlich – war ja schließlich Samstagabend, kein Schwein hockte jetzt vor dem Computer, außer vereinsamten Nerds wie mir. Trotzdem ließ ich die Seite geöffnet, notierte mir ein paar Zeilen für einen neuen Song, übte ein schwieriges Riff, das ich noch nicht richtig hinkriegte, holte mir eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, stellte eine neue aus dem Keller rein, damit meine Mutter nichts merkte, schob eine Pizza in den Backofen, schaltete den Fernseher im Wohnzimmer ein, blätterte in der Cosmopolitan, ging wieder hoch, um den Begriff «Godemiché» zu googeln, schrieb eine SMS an meinen Vater und holte die Pizza gerade rechtzeitig aus dem Ofen, ehe sie verkohlte.
    Ich aß sie vor dem Fernseher, was bei meiner Mutter streng verboten war, und suchte in der Cosmopolitan nach weiteren interessanten Artikeln. Danach tauschte ich noch eine Flasche Bier aus, obwohl ich ein bisschen Sorge hatte, es damit zu übertreiben. Im Keller waren nämlich jetzt nur noch drei Stück, und wahrscheinlich würde ich auffliegen.

[zur Inhaltsübersicht]
    44
    I ch halte es immerhin fast zwei Stunden vor dem Fernseher aus, vermutlich aber nur deswegen, weil ich sowieso nicht richtig hinsehe, sondern mit meinen Gedanken ganz woanders bin. Dauernd habe ich den verzweifelten Wunsch, irgendjemanden anzurufen, aber es gibt einfach niemanden mehr. Schließlich gehe ich hoch in mein Zimmer und sehe mir wieder alte Videos an, auf denen alles noch gut war.

    U m 2.33 Uhr signalisierte mein Handy eine neue SMS, wie immer mit einem durchdringenden Piepton, der einen Hirntoten reanimiert hätte. Dabei war ich bloß vor dem Fernseher eingeschlafen. Ich öffnete den Ordner und war ziemlich erstaunt, dass es kein Text, sondern eine MMS war, und außerdem von einer unbekannten Nummer. Es dauerte ziemlich lang, bis sie sich öffnete. Ein Video.
    Mein Bruder Nick, aus drei, vier Metern Entfernung reichlich wacklig gefilmt, und neben ihm eine von Billies Freundinnen, die sich mit ihm gemeinsam über einen Handybildschirm beugt. Dazu scheppernde, verzerrte Musik und Stimmengewirr. Nick wird ein bisschen näher rangezoomt.
    Was er da sieht, scheint ihm nicht zu gefallen. Er presst die Lippen zusammen, verschränkt die Arme vor der Brust und guckt woandershin. Dann steht er auf und will gehen, aber das Mädchen fasst ihn lächelnd am Arm, deutet auf das Handy und sagt irgendwas, und er guckt widerwillig noch mal auf den Bildschirm.
    Das war’s. Kein erklärender Text dazu, nichts. Ich war total ratlos. Anscheinend war dieses Video erst vor kurzem entstanden, auf Billies Party, aber was sollte das Ganze? Warum schickte mir das jemand? Ich guckte mir noch mal genau die Absendernummer an, aber sie kam mir überhaupt nicht bekannt vor.

[zur Inhaltsübersicht]
    45
    I ch