Klassenziel (German Edition)
zweideutige Witze über Blasrohre und Armbrüste, aber dann wurde uns langweilig. Ich beobachtete Nick und erkannte ihn nicht wieder: So lebhaft, mit so einem wachen Blick und so einer ruhigen Selbstgewissheit hatte ich ihn garantiert noch nie mit jemandem reden sehen. Der Verkäufer war total freundlich. Er hatte offenbar nicht die Absicht, einen nervigen Schuljungen aus dem Laden zu scheuchen. Im Gegenteil. Er nickte, lächelte, zeigte auf das eine oder andere Hightech-Gewehr in dem Ständer hinter ihm und erklärte wahrscheinlich ein paar Details.
Mein Vater und ich fingen vor Langeweile schon fast an, uns mit Schlachtäxten zu traktieren. Wir wollten weiter, aber Nick unterbrach sein Fachgespräch nur gerade lange genug, um zu sagen: «Ich bin noch nicht fertig.»
«Na gut, dann warten wir in dem Café nebenan», gab mein Vater nach. Eigentlich hatten wir gerade vorhin erst eine Kaffeepause gemacht. Nick antwortete nicht mal. Er steckte mitten in einer Diskussion über Kadenz und Rückstoß.
Als er eine gute halbe Stunde später endlich aus dem Laden rauskam, sah er ganz verändert aus. Älter und selbstbewusster und fast schon glücklich. Unter allen anderen Umständen hätte ich mich darüber bestimmt gefreut – aber dass Dominik sich so veränderte, nachdem er in einem Waffenladen gewesen war, bereitete mir doch eher ein komisches Gefühl im Bauch.
«Hast du was gekauft?», fragte mein Vater.
«Quatsch. Das ist alles erst ab achtzehn.»
«Also geklaut?», fragte ich.
Nick grinste nur spöttisch und tippte sich an die Stirn. Na ja. Eine Heckler & Koch schiebt man sich wohl nicht einfach unters T-Shirt.
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41
G egen Ende der Stunde dürfen wir noch eine Runde Prellball spielen. Darin bin ich ganz gut. Ich schieße ausschließlich Mädchen ab, weil die immer so kreischen, wenn man auf sie zielt, und werde von meinen Mannschaftskameraden angefeuert – allerdings nur von den männlichen. Nach dem Klingelzeichen spielen wir noch weiter. Ich bin einer der Letzten auf dem Spielfeld, werde dann aber von Ann-Kathrin erwischt.
Auf dem Weg in die Umkleidekabine wird mir bewusst, dass wieder ein einsamer Nachmittag vor mir liegt. Und bestimmt nicht der letzte. Beinahe wünsche ich mir, die Schule würde noch ein paar Stunden dauern. «Gibt’s eigentlich irgendwelche AGs hier?», frage ich Elias, der sich neben mir die Straßenschuhe zuschnürt.
«Ja, glaub schon. Theater, Chor … Basketball …»
Noch während er antwortet, hab ich schon keine Energie mehr, mich darum zu kümmern. Ich müsste rausfinden, ob ich da noch einsteigen kann. Wann die AGs genau stattfinden und wo. Bei wem ich mich anmelden kann. Und noch mehr neue Leute kennenlernen. Nee, ich glaub, das ist mir alles zu viel.
E rst auf der Heimreise nach Viersen fiel mir auf, dass wir kein einziges wichtiges Thema angeschnitten hatten. Wir hatten nicht über Papas neue Freundin oder Exfreundin oder was auch immer gesprochen. Ich hatte ihm nicht unter vier Augen von meiner Sorge um meinen Bruder erzählt. Papa und Nick hatten überhaupt nur total oberflächliches Zeug gelabert. Und ich hatte kein einziges Mal gesagt, dass ich die ganze Situation in unserer Familie zum Kotzen fand.
Es war schon ziemlich spät, als wir endlich in Viersen ankamen. Meine Mutter holte uns am Bahnhof ab. Als ich sie da so stehen sah, dachte ich, wie riesengroß doch die Entfernung zwischen ihr und meinem Vater war – als ob sie der Nordpol wäre und er der Südpol. Und ich war wohl so eine Art Gummiband, das zwischen den beiden Polen gespannt wurde. Und das irgendwann zerreißen würde.
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42
M axi wartet vor der Turnhalle auf mich. «Musst du sofort nach Hause?»
«Nö, nicht unbedingt. Und du?»
«Ich auch nicht.»
Der Dienstag ist unser kürzester Schultag, es ist erst halb eins. Was fängt man mit so einem endlos langen freien Nachmittag an? Diese Frage wäre mir nie in den Sinn gekommen, als ich noch Till und Ramon und alle meine anderen Freunde hatte. Und das Fußballtraining und den Gitarrenunterricht. «Tja, wollen wir noch irgendwohin oder so?»
«Wohin denn?», fragt Maxi.
«Keine Ahnung! Ich kenn mich hier überhaupt nicht aus!»
«Na ja, hier gibt’s nicht viel», behauptet Maxi. «Ist ja mehr so ’ne Wohngegend.»
Mann, ist das mühsam. Ich weiß gar nicht, ob er jetzt noch was mit mir unternehmen will oder nicht. Aber wenn nicht – warum hat er dann auf mich gewartet? Und wenn doch – warum
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