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Klausen

Klausen

Titel: Klausen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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wegdenken … ich muß sie denken und nicht wegdenken, wenn sie sich einem aufzwängt. Das ist die Wahrheit. Und meine Mutter hat von nichts eine Vorstellung und denkt und handeltnur noch in Kategorien der Selbsterniedrigung, deshalb setzt sie sich auf diesen Stuhl, ich glaube, sie hat ihn sogar eigens vom Speicher heruntergeholt, nur um sich wieder auf ihn zu setzen. Sie will nichts sein, sie will gar nichts sein, und zwar will sie es demonstrativ nicht, mit vollem Bewußtsein, und das ist doch sehr ungereimt. Aber dein Vater, Gasser, ja, dein Vater … er ist wenigstens ein Mensch! Ein Mensch, weil er keine Worte macht. Er ist gar nicht vorhanden, dein Vater, und deshalb ist er ein Mensch. Er will nichts (und er weiß nicht einmal, daß er nichts will), und er sagt nichts. Das ist die höchste Stufe, die man erreichen kann. Mehr ist nicht möglich … Früher habe ich ihn dafür verachtet, meinen Vater, heute kann ich das nicht mehr. Übrigens fährt er Fahrrad. Sein ganzes Leben ist so eingerichtet, daß er zweimal täglich neunhundert Meter mit dem Fahrrad fährt. Irgendwann wird man verstehen, daß das nicht unwichtig ist, daß das vielleicht das wichtigste überhaupt ist, diese neunhundert Meter mit dem Fahrrad , allerdings wird es niemand so sagen können, daß es verstanden werden würde. Ja, man sollte meinem Vater ein Denkmal setzen. Diese neunhundert Meter … diese neunhundert Meter … Gasser schienen all diese eigenartigen und wirren Gedanken im Moment überaus klar. Er war unterdessen für einen Augenblick stehengeblieben und erinnerte sich daran, daß er eigentlich hatte in den Keller gehen wollen, dort wollte er Auer treffen, wegen eines Briefs, den er schon die ganze Zeit in seinem Mantel bei sich trug. Auch diesen Brief hatte erdie ganze Zeit vergessen, obgleich er für Auer möglicherweise sehr wichtig war. Aber da war noch etwas anderes … Er hatte nämlich jetzt, etwa auf Höhe von Nussbaumers Wirtschaft, plötzlich das Gefühl, von jemandem beobachtet zu werden. Dieses Gefühl war ihm bekannt, seit einiger Zeit hatte er immer wieder dieses Gefühl, daß jemand hinter ihm stehe und ihn beobachte. Alle wollten neuerdings etwas von ihm, von vielen wurde er angesprochen, sei es, daß sie nach seiner berühmten Schwester fragten, sei es, daß sie irgend etwas über seine Berliner Zeit wissen wollten, und manchmal wurde er sogar ganz direkt auf gewisse Ideen angesprochen, über die die Leute irgend etwas gehört zu haben meinten. Gasser wunderte sich darüber, wie leicht man für die Klausner in den Mittelpunkt rücken konnte. Er drehte sich um, denn er wollte zu gerne wissen, wer dort hinter ihm stand und ihn beobachtete. Es war Paolucci. Gasser musterte den anderen Klausner von oben bis unten … Vielleicht stand Paolucci schon eine ganze Weile da und beobachtete ihn, das konnte gut sein. Vielleicht, dachte Gasser, bin ich nur deshalb eben gerade in meinen Gedanken auf Paolucci gekommen, weil er schon die ganze Zeit hier herumsteht. Wie eigenartig das doch alles ist. Als hätten sich seit einiger Zeit alle Zusammenhänge gelöst … alle Kausalitäten. Ich laufe hier herum, Paolucci steht da, hier in der Klausner Oberstadt, man könnte … man könnte alles an diesem Gedanken austauschen, jedes Wort könnte man durch ein anderes ersetzen, und doch bliebe sich allesvöllig gleich, auch wenn das vielleicht sehr seltsam erscheint. Und dennoch kommt es mir klar und logisch vor, klarer und logischer als alles andere. Ich sollte ihn auffordern, meine Schwester zu heiraten, ja, wirklich, ich würde ihn zu gerne ernsthaft auf diesen Gedanken bringen … Gasser betrachtete seinen ehemaligen Mitschüler. Seit neuestem sah Paolucci wie ein Italiener aus, das schien er zu kultivieren. Er ließ sein schwarzes Kopfhaar wuchern und sich einen Vollbart stehen. Und er wurde immer dicker, geradezu fett war er geworden, während Gasser in Berlin gewesen war. Paolucci fuhr jetzt oft nach Mailand und versuchte dort bei einer Zeitung Fuß zu fassen. Er verfolgte seit einigen Wochen einen Fall, eine Justizangelegenheit, die in den Südtiroler Zeitungen publik gewordene Kausa Laner, in die auch Delazer, Katis Verlobter, irgendwie verstrickt war. Und, fragte Gasser, habe er den Laner denn inzwischen erreicht? Denn er habe ihn ja erreichen wollen, gestern zumindest habe er ihm das gesagt, wenn er sich recht erinnere. Nein, an Laner sei nicht mehr heranzukommen, sagte Paolucci. Vorgestern habe er noch mit ihm telefoniert.

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