Klausen
ich komme aus Tecelinga. Ich komme aber nicht aus Tecelinga, ich komme aus Tötschling. Ich kenne dieses Tecelinga nicht. Nur weil ein faschistischer Wissenschaftler diesen Namen Tecelinga erfunden hat, komme ich noch längst nicht aus Tecelinga. Meraner hatte Schweißperlen auf der Stirn. Er stand nun ebenfalls mitten im Raum, drei Meter von Giuseppe Neri entfernt. Und ich kann dir auch genau sagen, warum ich nicht aus Tecelinga komme, Neri, rief er. Und warum, warum nicht, rief Neri und warf seine Hand in die Luft. Meraner: Weil ich aus Tötschling komme. Neri rief, er brauche Tecelinga nicht, er sei nicht der Staat Italien, er habe die Zustände nicht geschaffen,er sei für überhaupt nichts verantwortlich. Oder ist es etwa meine Schuld, rief er, daß man mir gesagt hat, ich soll hierher kommen, ist es meine Schuld, daß ich damals diese verdammte Stellenausschreibung in der Zeitung gelesen und mich beworben habe? Meraner stand zitternd im Raum und konnte keine Antwort geben. Neri setzte sich, Meraner dann auch wieder. Ihr müßt euch das doch einmal vorstellen, sagte er, nun wieder an Neri gewandt. Was, fragte Neri und trank ein Glas Roten auf einmal herunter. Meraner: Stell dir einmal vor, du wohnst in einem Dorf, nun, und dann erfährst du, in vier Wochen kommt der neue Name, der neue Name für dein Dorf. Und vier Wochen lang feixen sich die Leute bereits zu und malen sich die verschiedensten Ideen aus, und dann kommt die Nachricht. Aus Tötschling wird Tecelinga. Tötschling wird von der Landkarte gestrichen, und dafür gibt es nun ein Tecelinga, obgleich es in Tötschling, welches es nun ja nicht mehr gibt und welches also plötzlich Tecelinga heißt, natürlich überhaupt keinen Italiener gibt. Der erste Italiener ist nach Tecelinga neunzehnhundertvierundachtzig gekommen, als Tourist, über vierzig Jahre nach der Umbenennung. Nach der faschistischen Umbenennung. Erst halten sich alle die Bäuche, weil sie den Namen Tecelinga für witzig halten, und dann wird ihnen plötzlich das Gefängnis angedroht, wenn sie noch einmal das Wort Tötschling verwenden. Valli: Meine Herren, Tötschling, Tecelinga, das sind freilich wichtige Themen, wenn man es genau betrachtet, aber habenwir nicht inzwischen alle gelernt, daß … Meraner: Nein. Ich habe nichts gelernt. Ich will übrigens auch nichts lernen. Ich habe ein Recht darauf, nichts lernen zu müssen! Ich habe vor Gott ein Recht darauf! Neri saß schon eine Weile mit verschränkten Armen da und sagte gar nichts mehr. Er hörte sich den Sermon des Meraner an, und als Meraner fertig war, sagte er immer noch eine Weile nichts, und dann sagte er: Und dennoch bleibe ich dabei, daß das euer Gasser geschrieben hat. Er und sonst kein anderer. Valli: Aber Giuseppe, wieso sagst du unser Gasser ? Das ist nicht fair, das ist polemisch. Wenn Gasser das geschrieben hat, dann wollen wir mit ihm doch nichts zu tun haben. Gruber: Wie kommt Neri denn darauf, daß Gasser das geschrieben hat? Gasser ist doch zur Zeit gar nicht da. Valli: Nun, einige meinen, ich muß sogar sagen, es ist fast die einhellige Meinung, daß wahrscheinlich … Gasser … nun, daß er also der Verfasser ist. Gruber: Was ist denn eigentlich mit diesem Papier? Was man da liest, ist doch lediglich eine Beschreibung. Eine Beschreibung dessen, was der Fall ist. Valli: Nun ja, aber das Papier hat doch eindeutig eine bestimmte politische Richtung. Gruber: Welche denn? Valli: Er solle ihn bitte nicht falsch verstehen. Er selbst hege keine Vorurteile gegen Gasser, und ob Gasser tatsächlich an dem Attentat auf Herrn Alois Zurner beteiligt gewesen ist, ist überhaupt nicht bewiesen. (Gebrummel: Was heißt Beteiligung? Der hat es doch geplant! Der hat doch wahrscheinlich alles selbst veranlaßt.) Valli: Es ist überhaupt nichts bewiesen,und er, Valli, halte es überdies auch gar nicht für wahrscheinlich, denn Josef ist ein vernünftiger Junge, der tut so etwas nicht, und anonyme Briefe schreiben, das tut der auch nicht. So was macht der nicht. Neri: Der macht noch was ganz anderes. Kerschbaumer hatte unterdessen ebenfalls den Gastraum betreten und hörte sehr interessiert zu, da der Name Gasser häufig fiel. Da er sich nämlich so sehr für die Schauspielerin Katharina Gasser interessierte, interessierte er sich auch für alles, was ihren Bruder Josef und überhaupt die ganze Familie betraf. Er vertrat übrigens die Ansicht, daß jener italienische Universitätsassistent hinter dem beim Nussbaumer und andernorts
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