Klebstoff
kamen, fiel Lisa ein, dass sie eine Tante und einen Cousin hatte, die hier wohnten. Sie kannte sie nicht sehr gut. Sie erinnerte sich allerdings, wie sie als Kind zu Besuch gewesen war und Spaghetti-Nester auf Toast bekommen hatte. Einer ihrer Vettern war schon vor Jahren gestorben, er war von ner Brücke gestürzt, als er betrunken war. Noch so n junger Kerl, der voller Leben zum Ausgehen in der Stadt war und kalt und tot zurückkehrte. Ihre Mum und ihr Dad waren zur Beerdigung gegangen.
Seit ihrem letzten Besuch hatte ein Ausschlag von Satellitenschüsseln die Häuser befallen. Neben dem Haken für den Eimer war so oft gegen die Wand gepisst worden, dass der Verputz ganz fleckig geworden war und sich stellenweise aufzulösen schien. Sie wusste nicht, ob ihre Tante Susan in diesem oder dem dahinter wohnte. Vielleicht kannte Terry sie.
Lisa sah, dass Charlene total im Arsch war und wollte, dass sie ins Bett kam. Und dieses Bürschchen Johnny hatte es auch hinter sich.
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Glasgow, Schottland
17.27 Uhr
Buchanan Street; der Gestank von Dieselabgasen und Glasgow allgemein erfüllte die Luft, vereinzelte Tendenzen einer Verrohung, die von den neuen Einkaufspassagen und Designerboutiquen komischerweise eher herausgehoben als dezent überspielt wird.
Ich kann mich nicht mal erinnern, wo von hier aus der Bahnhof Queen Street ist, so lang ist das her. Natürlich ist er bloß ein Stück die Straße runter. Mein Handy funktioniert nicht, also ruf ich meine Mutter von nem Münztelefon an. Sandra Birrell geht dran. Meine Ma ist im Krankenhaus. Zusammen mit meiner Tante Avril.
Sie erzählt mir, wie die Dinge stehen. Ich murmle für nen Augenblick irgendwelchen Scheiß und geh dann, den Zug erwischen, wobei mir bewusst wird, dass ich mich nach niemandemerkundigt habe, ich hab nicht mal nach Billy gefragt.
Billy Birrell, die ganzen Spitznamen; manche gefielen ihm, andere machten ihn stinksauer. Silly Girl (Grundschule). Secret Squirrel (Realschule). Biro (Gangname in der Siedlung, Brandstifter und Schläger). Business Birrell (Boxer). Lang ist’s her. Der beste Typ, den ich je gekannt hab. Billy Birrell.
Jetzt muss ich dahin zurück. Ich geh um die Ecke zur Queen Street und steig in den Zug.
Im Zug erkenn ich nen Typ wieder. Ich glaub, er ist n Deejay oder hat was mit Clubs zu tun. Ein Promoter? Hat er n Label? Wer weiß. Ich nicke ihm zu. Er nickt zurück. Renton heißt er, glaub ich. Bruder in der Armee, der umgekommen ist, ein Typ, der früher immer zu Tynecastle ging. Kein übler Kerl, dem Typ sein Bruder, mein ich. Von dem Typ selbst hab ich nie viel gehalten, ich hab gehört, er hätte seine Kumpels abgezogen. Aber ich schätze, wir müssen den Mut haben, mit der Tatsache zu leben, dass die, die uns am nächsten stehen, uns von Zeit zu Zeit enttäuschen.
Gallys Beerdingung war das Traurigste, was ich je erlebt hab. Das Einzige, was daran seltsam tröstlich war, waren Susan und Sheena. Sie klammerten sich neben dem Grab wie Kletten aneinander. Es schien, als hätte sich das Mauerwerk von Männlichkeit um sie herum, Mr. G. und Gally, als Stroh entpuppt und sei einfach weggepustet worden. Jetzt hatten sie nur noch sich. Und doch wirkten sie in all ihrer blanken und tiefen Verzweiflung auch stark und rechtschaffen.
Sie hatten ein Familiengrab. Ich war einer der Sargträger und half mit, Gally in die Erde hinabzulassen. Billy war auch dabei, aber Terry war nicht gebeten worden. Wie sie angekündigt hatte, kam Gail nicht und hielt auch Jacqueline fern. Es war am besten so. Gallys alter Herr fehlte, wahrscheinlich saß er wieder.
Meine Mutter und mein Vater und die Birrells waren da, einschließlich Rab Birrell und ein paar von Gallys Fußballkumpels. Terrys Ma und Walter waren auch da. Topsy kam. Die größte Überraschung gab es im Hotel, wo Billy mir erzählte, dass Blackie von der Schule da gewesen wär. Er war jetzt Rektor und hatte gehört, dass einer seiner ehemaligen Schüler gestorben war. Ich hatte ihn weder in der Kapelle noch am Grab gesehen, und er war auch nicht mit ins Hotel gekommen, doch Billy versicherte mir, dass er es gewesen sei, feierlich ernst im Regen neben dem Grab, die Hände vor dem Bauch gefaltet.
Der Schotter vom Friedhofsweg blieb im Profil meiner Schuhe stecken, und ich weiß noch, dass ich mich damals darüber geärgert hatte. Ich wollte irgendwem eine knallen, bloß wegen dem Scheißschotter unter meinem Schuh.
Es war ein ekelhafter, kalter Morgen, der Wind von der Nordsee schlug
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