Klebstoff
uns entgegen und spie uns Eisregen ins Gesicht. Gott sei Dank fasste sich der Pfarrer kurz, und wir zogen schlotternd in ein Hotel um, wo es Tee, Kuchen und Alkohol gab.
Bei der Feier schüttelte Billy unentwegt den Kopf und murmelte immer noch geschockt vor sich hin. Ich machte mir damals Sorgen um ihn. Das war gar nicht der alte Billy Birrell. Er sah aus wie immer, aber es war, als hätte er sein inneres Gleichgewicht und seine unterschwellige Kraft verloren. Die Batterien waren rausgenommen worden. Billy war immer ein Fels in der Brandung gewesen, und mir gefiel es nicht, ihn so zu sehen. Yvonne Lawson, die weinte, hielt erschüttert seine Hand. Billy war am Boden, dabei stand ein Boxkampf an.
Ich hielt mit beiden Händen Susans Hand und sagte das übliche Zeug: – Wenn ich irgendwas tun kann … egal was … und ihre müden, glasigen Augen lächelten mich an, wie bei ihrem Sohn, während sie mir erklärte, es wär schon gut und sie und Sheena kämen schon zurecht.
Als ich mal zum Strullen aufs Klo ging, kam Billy mir nach und begann mir zögernd was über Doyle zu erzählen, das ich durch den Schleier von Alkohol und Trauer nur undeutlich mitbekam.
Doyle war nach dem Training zu Billys Boxclub gekommen. Er passte Billy ab. – Ich dachte, erzählte er und befühlte seine Narbe,
– das ist krass, geht das schon wieder los? Also mach ich mich auf was gefasst. Aber anscheinend war er allein da. Er sagte, er wüsste, dass ich mit Powers und so zusammenhing, er wollte keinen Ärger, er wollte nur was wissen. Dann fragte er mich, warst du in dieser Nacht mit Gally bei Polmont?
Aber damals, bei der Beerdigung, wollte ich echt nichts davon hören. Ich hatte die Nase voll und dachte nur an mich selbst. Nach München, nach dem ganzen Scheiß, das war, als hätte ich nen Schlussstrich unter diesen Teil meines Lebens gezogen, den Teil meines Lebens in meiner Heimatstadt. Ich wollte nur noch meinen Freund begraben und dann weiterziehen. Die Nacht, in der wir in der Stadt waren, die Nacht, in der Gally gesprungen war, das hatte ich bloß der alten Zeiten wegen gemacht, bevor ich nach London zog.
Billy vergrub seine Hände tief in den Taschen und wurde ganz starr und steif. Ich weiß noch, dass mir das mehr auffiel, als das, was er damals tatsächlich sagte, denn es war nicht die Körpersprache, die man mit Billy in Zusammenhang brachte. Normalerweise bewegte sich Billy auf eine fließende, elegante und lässige Art. – Ich sagte zu ihm, was hat das mit dir zu tun? Doyle sagte, Polmont hätt gesagt, es wär sonst keiner da gewesen, bloß Gally. Er wollte nur wissen, ob das stimmt.
– Tja, ich war jedenfalls nicht da, erklärte ich ihm. – Also, sagte Billy und guckte mich an, – wenn da noch wer gewesen ist, tja, dann hat Polmont ihn offensichtlich nich an Doyle verpfiffen.
– So? fragte ich, schüttelte meinen Schwanz und steckte ihn zurück hinter den Reißverschluss. Wie gesagt, es interessierte mich nicht. Ich vermute, ich war immer noch sauer auf Gally, weil er so egoistisch gewesen war, wie es mir schien. Jetzt dachte ich in erster Linie an Susan und Sheena; soweit es mich anbelangte, war das ihr Tag. Ich hatte bestimmt keine Lust, mich über den beschissenen Doyle oder diesen Polmont zu unterhalten.
Billy rieb sich über sein kurz geschorenes Haar. – Pass auf, was ich Doyle nicht erzählt hab, war, dass Gally mich angerufen und gefragt hat, ob ich mit ihm zusammen Polmont nen Besuch abstatten geh. Billy atmete schwer aus. – Naja, ich wusste, was er mit Besuch meinte. Ich sagte ihm, er soll das lassen, ich sagte ihm, wir hätten alle schon genug Ärger wegen dem Wichser gehabt.
Ich konnte den Blick nicht von Billys Narbe wenden, die von damals herrührte, wo ihm Doyle sein Anglermesser durchs Gesicht gezogen hatte. Ich verstand seinen Standpunkt, er konnte diesen Scheiß nicht schon wieder brauchen; ihm stand ein Kampf bevor. Ich denke, Billy war genauso begierig, ein neues Kapitel aufzuschlagen, wie ich.
– Ich hätt mir mehr Mühe geben sollen, ihm das auszureden, Carl. Wär ich doch bloß zu ihm hingegangen …
Zu diesem Zeitpunkt stand ich kurz davor, Billy zu erzählen, was Gally mir erzählt hatte: dass er HIV – positiv war. Für mich war das der Grund, aus dem Gally gesprungen war. Aber ich hatte es Gally versprochen. Ich dachte an Sheena und Susan hinten in der Lounge Bar, daran, dass ein Mensch, dem man so was erzählt, es für gewöhnlich weitererzählt … bis es irgendwann alle
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