Klebstoff
war es schlimm genug: Sie dachte, sie würde in der Hitze der Scheinwerfer ohnmächtig und war sich jedes Quentchens der schmerzenden, grimmigen Qual bewusst, die die Drogen in ihrem unterernährten Körper hinterlassen hatten.
Den Musikern zunickend, ließ sie die Band mit Mystery Woman einsetzen. Als sie sang, war ihre Stimme während der ersten Hälfte der ersten Nummer kaum zu hören. Dann geschah etwas vollkommen Alltägliches und zugleich zauberhaft Mystisches: Kathryn Joyner fühlte die Musik, und es machte einfach klick. In Wahrheit war die Darbietung gerade mal ausreichend, aber das war einiges mehr als das, woran sie und ihr Publikum sich gewöhnt hatten, und vor diesem Hintergrund war es ein kleiner Triumph. Am wichtigsten war: Ein nostalgisch gestimmtes, dankbares und ziemlich betrunkenes Publikum hörte begierig zu.
Am Ende des Sets holten sie sie für eine Zugabe zurück. Kath dachte an das Hotelzimmer in Kopenhagen. Zeit, loszulassen, dachte sie. Sie wandte sich an Denny, ihren Gitarristen, einen altgedienten Sessionmusiker. – Sincere Love , sagte sie. Denny nickte dem Rest der Band zu. Kathryn trat unter frenetischem Applaus nach vorne und ergriff das Mikrophon. Terry tanzte in der Seitenkulisse.
– Ich hatte eine tolle Zeit in Edinboro’ City. Diese Nummer ist Terry, Reb und Jahnny aus Edinboro’ gewidmet: »Sincere Love«.
Das war ein passender Höhepunkt, auch wenn Terry etwas verstimmt war, dass sie ihn nicht mit dem korrekten Titel Juice Terry angesprochen hatte. – Dann wär’s für die ganzen Fotzen aus der Siedlung da draußen deutlicher gewesen, erklärte er Rab.
Franklin Delaney versuchte sie anzusprechen, als sie von der Bühne trat, wurde aber von Terry gestoppt. – Wir ham noch nen Auftritt, sagte er, als er ihren ehemaligen Manager wegschubste. Kathryn wedelte die Security-Leute beiseite, die sich einmischen wollten.
Terry wies den Weg und marschierte mit großen Schritten über den Parkplatz zu den Taxen, die bereitstanden, sie zum Public House The Gauntlet in Broomhouse zu befördern. Kathryn sah die Dinge in eindrucksvoller Klarheit auf sich zu kommen, wenn auch nicht auf einer intellektuellen Ebene – sie war so fertig, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte –, aber das hier war er nun, ihr letzter Auftritt für lange Zeit.
Für Außenstehende hatte sie eine phänomenale Karriere gemacht, für Kathryn Joyner aber waren die Jahre ihrer Jugend in einer endlosen Folge von Tourneen, Hotelzimmern, Aufnahmestudios, voll klimatisierten Villen und unbefriedigenden Beziehungen verflogen. Seit der lähmenden Langeweile in der Kleinstadt irgendwo bei Omaha hatte sie ein Leben nach einem Plan gelebt, der ihr von anderen diktiert worden war, umgeben von Freunden, die alle ein persönliches Interesse an ihrem anhaltenden kommerziellen Erfolg hatten. Ihr Vater war ihr erster Manager gewesen, vor ihrem erbitterten Zerwürfnis. Kathryn dachte daran, wie Elvis gestorben war, nicht in einem Kostüm in einem Hotel in Las Vegas, sondern zu Haus auf seiner Toilette in Memphis, umgeben von Familie und Freunden. Es ist genauso wahrscheinlich, dass die Menschen, die dich lieben, dein Ableben beschleunigen, wie die neue Gefolgschaft. Weniger wahrscheinlich ist es, dass sie deinen schrittweisen Niedergang bemerken.
Aber ihr war es Recht gewesen. Für eine gewisse Zeit. Sie hatte erst bemerkt, dass sie auf einem Karussell saß, als sie nicht mehr abspringen konnte. Dieser Hungerscheiß, das war nur der Versuch, Kontrolle auszuüben. Natürlich hatten sie ihr das alle gesagt, aber nun spürte sie es, und sie hatte vor, etwas dagegen zu tun. Und sie würde es ohne die herbeigeträumte Rettergestalt schaffen, die immer dann wie auf Stichwort auftauchte, wenn ihr alles zu viel wurde, und ihr ein neues Date empfehlen konnte, einen neuen Look oder langlebige Konsumgüter oder eine Immobilie, ein Selbsthilfebuch, eine revolutionäre Diät, Vitamine, einen Psychodoktor, Guru oder Mentor, eine Religion, einen Rechtsanwalt, kurz jeden oder alles, was die Risse übertünchen würde, damit Kathryn Joyner wieder ins Studio und auf Tournee gehen konnte. Wieder ihre Rolle als Goldesel spielte, der die Infrastruktur ihres Anhangs finanzierte.
Terry, Johnny und sogar Rab, diesen Typen konnte sie auch nicht mehr trauen als den anderen. Sie waren genauso, sie konnte nichts dafür, sie waren infiziert von dieser Krankheit, die sich jeden Tag mehr auszubreiten schien, dem zwanghaften Bedürfnis,
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