Kleider machen Bräute
Knie fallen, klappte den Plastikvorhang zur Seite und schob sich mit dem Kopf voran hindurch.
Sie brauchte einen Moment, um sich zurechtzufinden. Sie lag zusammengerollt auf dem staubigen, schmutzigen Betonboden einer zugigen Lagerhalle, vollgestellt mit Rollkoffern, Kisten und einzelnen traurig aussehenden Gepäckstücken.
Benommen rappelte sie sich auf und nahm ihre Umgebung genauer in Augenschein. Die riesigen Schiebetüren, die nach draußen führten, standen offen. Unter normalen Umständen hätte Molly der Blick über die Rollbahn zu den dahinter majestätisch aufragenden Bergen überwältigt. Der Nebel hatte sich gelichtet, und es war bitterkalt. Molly zitterte und klapperte mit den Zähnen. Aber im Moment galt nur eines – sie musste dieses Kleid finden.
Dabei verdrängte sie die Möglichkeit, dass das Kleid nie im Flugzeug gewesen war. Es konnte sich immer noch in Paris befinden oder neben ein paar Ziegen im Laderaum eines Frachtfliegers in den Kongo. Caitlin würde ihr nie im Leben verzeihen, wenn sie ihre Hochzeit ruinierte. Das würde das Fass endgültig zum Überlaufen bringen.
Ziellos wanderte Molly umher, schaute von rechts nach links, hoffte – und fürchtete gleichzeitig – irgendwo in diesem wahllosen Durcheinander den Kleidersack zu entdecken. Dann fiel ihr Sascha ein. Er hatte gesagt, er würde auf das Kleid achten, und er wirkte wie ein Mann, der zu seinem Wort stand. Oder etwa nicht? Sie hatte ihm einfach vertrauen müssen.
Der Gepäckabfertiger steckte den Kopf durch die Klappe.
»Sie sein in großen Schwierigkeiten, Mademoiselle. Hier Sie nichts finden.«
Molly erstarrte. Normalerweise verhielt sie sich nicht wie eine Kriminelle. Aber sie musste sich vergewissern, dass das Kleid nicht hier war. Sie lief zu dem Mann hinüber. »Bitte«, beschwor sie ihn, »geben Sie mir nur eine Minute?«
Der Mann verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Nein.«
Wortlos starrten sie einander an. Dann rannte Molly los. Sie stolperte durch die Lagerhalle und suchte hektisch nach dem Kleid. Es musste doch irgendwo sein! Der Mann kletterte durch die Luke und rannte hinter ihr her, aber zum Glück war Molly schneller. Das musste am Adrenalin liegen.
Komm schon! Es kann doch nicht so schwer zu finden sein … dieser große weiße Sack, ein bisschen so wie dieses zer knüllte Ding da vorn unter den verstaubten Rioja-Kisten.
Dieses zerknüllte Ding unter den verstaubten Weinkisten?!
»Neeeiiin!«
Molly schlug einen Haken, um dem Gepäckabfertiger zu entkommen, und lief in die Ecke der Lagerhalle. Der Gepäckabfertiger folgte ihr wie ein Jagdhund dem Hasen. Ihm auf den Fersen war ein korpulenter Mann vom Sicherheitsdienst, der vermutlich den Lärm gehört hatte. In der einen Hand hielt er den gezückten Schlagstock, in der anderen die Überreste eines Sandwichs. Die Hand schellen baumelten an seiner Hüfte, und das Visier seines Helms war hochgeklappt. Das verlieh ihm ein cartoonmäßiges, zugleich jedoch bedrohliches Aussehen.
Was auf Molly jedoch keinerlei Eindruck machte. »Was … was haben sie bloß angerichtet?«, schluchzte sie, ignorierte die sich nähernden Verfolger und zerrte den zerknitterten Kleidersack unter den Kisten hervor. »Dieses … dieses traurige Gebilde ist eine Maßanfertigung von Delametri Chevalier und gehört meiner Schwester!«
Sie presste den Kleidersack an sich, drehte sich um und starrte die beiden Männer an. Die starrten zurück. Keiner von ihnen wusste, was zu tun war. Das Sandwich des Wachmanns fiel zu Boden. Molly betrachtete es, und ihr Gehirn setzte sich langsam in Bewegung. Käse. Vermut lich Emmentaler. Oder Gruyère. Bestimmt kein Cheddar. Nicht in der Schweiz.
»Mademoiselle? Sie jetzt mit diesem Mann gehen.«
»Sehen Sie?« Molly bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Was habe ich Ihnen gesagt? Hier ist es! Und wahrscheinlich ist es ruiniert.«
Ohne Molly aus den Augen zu lassen, hob der Sicherheitsmann langsam sein Funksprechgerät an den Mund und forderte mit leiser Stimme Unterstützung an.
Mollys Blick wanderte nach unten, sie sah die Schusswaffe im Halfter an seiner Hüfte, und plötzlich wurde ihr die Situation bewusst, in der sie sich befand. Sie war in den Sperrbereich eines Flughafens eingedrungen. Eines Flughafens!
»Bitte schießen Sie mich nicht in den Kopf!« Kapitu lierend ließ sie auf die Knie sinken. »Ich würde ja gern die Hände heben, aber ich darf das Kleid nicht los lassen.«
Der Wachmann starrte sie bloß an. Vermutlich hielt er
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