Kleider machen Bräute
gehört. Wie furchtbar für dich, Liebes. Bist du jetzt in Venedig?«
»Nicht ganz. Ich bin immer noch in der Schweiz. Am Vormittag geht ein Flug …« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr: »Aber da gibt’s ein kleines Prob lem. In der Maschine ist nur noch ein Platz frei.«
»Und wo liegt das Problem?«
»Findest du nicht, dass Pascal den Platz nehmen sollte? Er wird das Kleid anpassen, und Caitlin flippt aus, wenn er nicht da ist.«
»Entschuldige, Molly, aber ich komme da nicht ganz mit. Was machst du denn, wenn du nicht in diese Maschine steigst?«
»Mir fällt schon was ein. Trampen oder wandern oder so. Ich bin sicher, dass es Caitlin nicht allzu viel ausmacht, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe.«
»Sei nicht albern, Molly!« Ihre Mutter klang wütend. Wütender als damals, als Molly als Sechzehnjährige einmal erst morgens um drei nach Hause kam. »Seit wann geht es bei Caitlins Hochzeit nur um das Kleid?«
»Äh … vom ersten Tag an?«, konnte sich Molly nicht verkneifen. »Ich wüsste jedenfalls, was meine Prioritäten wären, sollte ich in einem Modellkleid von Chevalier heiraten.«
»Unsinn. Um Familie, Molly.« Pause. Dann fuhr ihre Mutter fort. »Das ist es, was zählt.« Zu Mollys Entsetzen schien ihre Mutter zu weinen. »Entschuldige, aber wirklich: Du musst pünktlich dort sein! Sie ist deine einzige Schwester. Pfeif auf dieses dämliche Kleid!«
»Mum!« Molly war empört. Pfeif auf das dämliche Kleid? Hatte ihre Mum jetzt völlig den Verstand verloren? »Ich … geht’s dir gut?«
»Bestens. Mir geht es hervorragend. Aber du und Caitlin … ihr seid alles, was ich habe …«
»Es tut mir leid, Mum, Ich wollte dich nicht aufregen.«
»Ich muss jetzt auflegen … und mir die Nase putzen. Ruf mich später an, ja? Versprochen? Tschüss, Liebes.«
»Mum?«
Sie hatte aufgelegt. Molly ließ sich auf das Sofa in der Lounge fallen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Nach ihrem letzten Gespräch hätte sie wissen müssen, wie ihre Mutter reagieren würde, wenn sie das Kleid erwähnte. Ihre Mutter kapierte einfach nicht, wie wichtig es war, dass ein Kleid perfekt saß. Würde sie wahrscheinlich nie.
Die Empfangsdame, die das Gespräch vermutlich mit angehört hatte, rief ihr zu: »Dann rufe ich jetzt noch mal beim Flughafen an, okay?«
»Danke«, murmelte Molly. »Das wäre sehr nett.«
Sie fragte sich, ob es noch zu früh war, nach Pascal zu sehen. Doch genau in diesem Moment hörte sie eine ihr neuerdings vertraute Stimme. Sie kam aus Richtung der Treppe. Jemand telefonierte offenbar auf Englisch mit dem Handy. Sie spürte ein Kribbeln im Nacken, als sie vorsichtig um die Ecke spähte und ihr Blick auf den Rücken des unverkennbar hässlichsten handgestrickten Monstrums von Pullover fiel, den sie außerhalb der Harry-Potter-Filme je gesehen hatte. Das konnte doch nicht wahr sein …
»Simon?«
Er wirbelte herum und sah sie überrascht an.
»Molly?«
»Sie sollten in Venedig sein!«
»Als ob ich das nicht wüsste.«
»Was ist passiert?« Sie stand auf und ging scheu auf ihn zu, fuhr sich mit der Hand durch das immer noch feuchte Haar und versuchte nicht daran zu denken, wie mitgenommen sie aussehen musste.
»Ich kam hier letzte Nacht nicht weg«, antwortete er. »Keine Flugzeuge, keine Züge, keine Autos. Der reinste Albtraum.«
»Und wie sind Sie hier gelandet?«
»Erinnern Sie sich an Sascha, den Steward? Er hat mir das Hotel empfohlen und mich sogar hergefahren.«
»Verstehe.« Molly lächelte. »Mich hat er auch hierher gebracht.« Hatte Sascha da etwa seine Hand im Spiel und versuchte sich als Kuppler? Diese Vermutung behielt sie jedoch für sich. »Ich sehe schrecklich aus«, sagte sie.
»Nein, gar nicht«, widersprach Simon leise und sah errötend schnell weg.
Molly brach das nachfolgende hilflose Schweigen mit der Frage: »Haben Sie einen Platz in der Maschine, die heute Vormittag geht? Können sie sich vorstellen, dass es nur noch einen freien Platz gibt?«
»Das ist nicht Ihr Ernst. Nur noch einen?«, unterbrach er sie. »Dann sollte ich mir den schnappen.«
Und bevor Molly etwas sagen konnte, zückte er sein Handy und eilte in Richtung Tür.
»Nach diesem ganzen Theater habe ich die Nummer der Fluggesellschaft als Kurzwahl gespeichert.«
»Warten Sie!«, rief Molly. »Ich versuche gerade Pascal zu erwischen, weil wir auch noch nicht gebucht haben …«
Aber er befand sich bereits außer Hörweite, sprach in sein Handy und krallte sich den
Weitere Kostenlose Bücher