Kleider machen Bräute
dachte Molly und bildete müde die Nachhut.
*
Stunden bis zur Hochzeit: 33
Kilometer bis zur Hochzeit: 550
Molly erwachte, nachdem sie ein paar Stunden unruhig geschlafen hatte. Ein heulender Sturm rüttelte an den hölzernen Fensterläden ihres überheizten Hotelzimmers. Sie setzte sich auf, rieb die Augen und brauchte einen Moment, um sich zu besinnen, wo sie war.
»Scheiße!« Als ihr der Albtraum vom Vortag wieder einfiel, ließ sie sich zurück aufs Kissen fallen.
Es war zehn vor sechs. Und sie musste sich um den Weiterflug kümmern.
Neun Minuten später stand sie geduscht und angezogen an der Hotelrezeption und flehte die Empfangsdame an, sie ihren Computer benutzen zu lassen, damit sie nachsehen konnte, welche Flüge heute gingen. Îhre Worte überschlugen sich förmlich, aber erstaunlicherweise sprach die Empfangsdame perfekt Englisch und hörte ihr verständnisvoll zu.
»Lassen Sie mich das machen«, sagte sie schließlich lächelnd und fügte taktvoll hinzu: »Ich kenne die Gegend und komme vermutlich besser zurecht als Sie.«
»Tausend Dank!« Molly hätte die Frau umarmen können. Sie ließ sich in einen bequemen Sessel neben dem neu entzündeten Kaminfeuer sinken und wartete.
Das Hotel, ein Holzhaus im traditionellen Alpenstil, hatte etwas von einer Puppenstube. Molly stellte sich vor, wie es in der Hochsaison vor begeisterten Skifahrern aus allen Nähten platzen musste. Von mittlerer Größe und mit seiner herzlichen Atmosphäre hatte es überhaupt keine Ähnlichkeit mit der frostigen Schweizer Jugendherberge, in der sie vor gut zehn Jahren während einer katastrophalen geologischen Klassenfahrt gewohnt hatten. Die hatte ihr die Lust auf Berge gründlich vermiest. Hier jedoch konnte sie sich gemütliche Abendessen, Glühwein, heißen Kakao und jede Menge Spaß in den majestätischen Schweizer Alpen vorstellen. Wenn sie nur nicht so erschöpft wäre …
Trotz der frühen Stunde waren schon einige Gäste auf den Beinen. Im Restaurant wurde bereits Frühstück serviert, und um Molly herum unterhielten sich gedämpfte Stimmen in allen möglichen Sprachen.
»Ich habe gute Nachrichten.« Strahlend hielt ihr die Empfangsdame einen Computerausdruck entgegen.
»Super!« Molly sprang auf.
»Sie werden es kaum glauben, aber heute Morgen geht ein einziger Flug, in dem es noch Platz gibt.«
»Ja!« Das Glück war ihr hold.
»Und Sie haben wirklich Glück, weil Sie den letzten freien Platz bekommen haben.«
Molly rieb sich die Stirn. »Aber ich brauche zwei Plätze.«
Das Gesicht der Rezeptionistin zuckte leicht. »Sie sind doch allein hier angekommen«, meinte sie.
»Nicht wirklich. Mein Reisebegleiter ist bei, ähm, einem Freund. Es tut mir wirklich leid, aber könnten Sie das bitte noch mal nachprüfen?«
Während die Rezeptionistin es tat, trat Molly unruhig von einem Fuß auf den anderen. Schließlich drehte die Frau Molly den Computerbildschirm zu ihr um: Es blieb dabei – nur ein einziger Sitzplatz war frei.
»Soll ich für Sie buchen?«, fragte die Frau.
Die Gedanken in Mollys Kopf wirbelten durcheinander. Aber sie sollte besser zugreifen. »Ja, bitte.«
»Ihr vollständiger Name, bitte?«
»Molly …oh.« Ihr war etwas eingefallen. »Warten Sie …«
In Anbetracht ihrer Vorgeschichte wäre es Caitlin bestimmt weitaus lieber, wenn Pascal ihr das Kleid brachte. Außerdem würde er einige Zeit für die letzte Anprobe benötigen, und Caitlin hatte mehr als deutlich gemacht, was sie von Mollys Vorschlag, für ihn einzuspringen, hielt.
»Ich weiß nicht«, sagte sie nach angestrengtem Überlegen, »wer von uns den Platz nehmen soll.«
»Nun gut.« Das Gesicht der Rezeptionistin war eine Maske – Resultat einer hervorragenden Schulung im Umgang mit Kunden. »Lassen Sie mich bitte einfach wissen, wenn Sie sich entschieden haben. Aber Sie sollten sich beeilen. Der Platz wird sicher bald vergeben sein.«
Was sollte sie jetzt tun? Molly konnte sich einfach nicht entscheiden, wer von ihnen fliegen sollte. Also zog sie ihr Handy aus der Tasche und tat das, was viele Mädchen in Krisenmomenten tun: Sie rief ihre Mutter an.
»Molly? Alles in Ordnung? Es ist sechs Uhr früh …« Die Stimme ihrer Mutter klang tief und verschlafen.
»Es geht mir gut, Mum. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
»Ach, ist schon gut. Momentan schlafe ich ohnehin nicht viel.«
Molly verdrehte die Augen. »Bammel wegen der Hoch zeit, wie?«
Es folgte eine Pause. »Ich habe von der Sache mit dem Flugzeug
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