Kleider machen Bräute
war dieses Mikromanagement zu ihrer Vollzeitbeschäftigung geworden. Sie war immer schon ordentlich und penibel gewesen, aber ihre Sorgen bezüglich der Hochzeit grenzten an Besessenheit. Die Chance, dass sie beide Zeit finden würden, um über ihre Kindheit zu plaudern, war genauso gering wie die Wahrscheinlichkeit, dass Caitlin überhaupt das Bedürfnis dazu verspürte.
»Es ist … ungewöhnlich«, stimmte Pascal zu. »Ich hatte ein komisches Gefühl, was diese Reise anging, abgesehen von meiner Flugangst. Aber so etwas kann passieren, vor allem, wenn dafür andere Pläne über den Haufen geworfen werden.«
Molly war nicht sicher, was er damit meinte, aber in diesem Moment kam Simon mit triumphierender Miene zurück, gefolgt von Julien.
»Job erledigt!«, rief er und boxte in die Luft.
Molly wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihn umarmt, so erleichtert war sie. Aber sie begnügte sich mit einem strahlenden Lächeln. Schluss mit unzivilisierten Fortbewegungsmitteln!
»Venedig, wir kommen!« Pascal seufzte. »Endlich!«
»Ist es weit bis zur Bushaltestelle?«, fragte Molly.
Juliens Miene trübte sich. »Bushaltestelle?«, wiederholte er. »Nein, es ist nicht weit.«
»Ausgezeichnet«, sagte Pascal gut gelaunt. Er sprang von der Bank auf.
»Aber warum wollen Sie zur Bushaltestelle?«, fragte Julien.
Molly, die gerade ihre Sachen einsammelte, sah ihn stirnrunzelnd an. »Natürlich um den Bus zu nehmen!« Sie lachte über seine unsinnige Frage.
»Aber es ist Sonntag«, entgegnete Julien.
Molly rutschte das Herz in die Hose.
»Heute fahren keine Busse«, erklärte er.
Die drei erstarrten.
»Das kann nicht wahr sein«, krächzte Simon schließlich.
»Sind Sie sicher?«, fragte Molly ernüchterter, als sie sich je hatte vorstellen können.
Julien nickte bedauernd.
Pascal schüttelte nur den Kopf. Sein gesamter Elan hatte ihn verlassen.
Simon setzte sich auf die Bank, so dicht neben Molly, dass sie durch den scheußlichen Pullover hindurch die Wärme seines Körpers fühlen konnte. Julien trat sor genvoll von einem Bein aufs andere und nagte an der Unterlippe.
Molly sah zu ihm auf. »Wie weit ist es denn bis Domodossola?«, fragte sie, nachdem alle eine Weile geschwiegen und gegrübelt hatten, aber niemandem etwas Vernünftiges eingefallen war. »Wir müssen den Zug nach Venedig erwischen. Können wir von hier aus mit dem Taxi fahren?«
»Das kommt gar nicht infrage.« Julien lächelte sie freundlich an und rieb die Hände. »Ich muss sowieso gleich dorthin und werde euch mitnehmen.«
Mollys Herz tat einen Freudensprung. »Aber das wäre ja großartig!«
»Sehr nett von Ihnen«, stimmte Pascal zu.
»Kein Problem«, sagte Julien. »Ich habe auf dem Weg eine wichtige Lieferung zu machen. Aber in meinem Lieferwagen ist genug Platz für euch.«
Er zeigte auf die andere Straßenseite, wo ein großes Postauto wartete. Dann betrachtete er das Gepäck der drei.
»Ein Anzug?«, fragte er und deutete auf den Kleidersack.
»Ein Hochzeitskleid«, antwortete Molly. »Meine Schwes ter heiratet morgen.«
»Ah, wie wunderbar! Meine besten Glückwünsche an die junge Dame.«
»Vielen Dank.«
Er runzelte die Stirn. »Würden Sie mir erlauben, das Kleid in einen Karton zu packen, bevor wir es in den Postwagen laden? Dann ist es geschützter.«
»Ich bin begeistert. Je geschützter, desto besser. Es hat schon genug mitgemacht.«
Sie stieß Simon in die Rippen, während Julien das Kleid vorsichtig ins Gebäude trug. »Ist es nicht schön, wenn Menschen achtsam mit den Dingen anderer umgehen?«
»Ist ja schon gut«, murmelte Simon.
»War nur ein Scherz«, fügte Molly hinzu, als sie sein Unbehagen bemerkte.
»Ich hab schon bessere gehört«, erwiderte Simon.
»Und ich schon bessere gemacht«, murmelte Molly.
Zwanzig Minuten später hatten sie es sich alle in Juliens Postauto bequem gemacht, das Gepäck und das gut verpackte Hochzeitskleid waren im Heck verstaut, und sie fuhren durch das Tal. Jetzt, da sie wusste, dass ihr genug Zeit blieb, konnte Molly die beeindruckende Bergwelt genießen, diese verschneiten Gipfel, die gewaltig um sie herum aufragten.
»Irgendwann werde ich hierher zurückkommen und mir alles in Ruhe ansehen«, sagte sie staunend.
»Ich auch«, stimmte Simon zu.
»Vielleicht lerne ich am Ende doch noch Skifahren.«
»Na ja, wem es Spaß macht«, meinte Simon.
»Fährt Yvonne Ski?«, fragte Molly. Nicht, dass sie die Antwort wirklich interessierte. Yvonne fuhr bestimmt
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