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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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abwegig, aber wer konnte ihm den schon beibringen?«
    Ihren Salat hatte sie noch
nicht angerührt. Delia fischte sich ein Stückchen Garnelenschale aus dem Mund
und legte es auf den Tellerrand.
    »In gewissem Sinn habe ich in
der Ehe sämtliche Stadien der Trauer durchgemacht«, sagte Ellie. »Verweigerung,
Wut... wirklich, Trauer. Auf Partys beobachtete ich die anderen Frauen;
hätte gern gewußt, ob sie sich auch so fühlten? Wenn nicht, wie schafften sie
das nur? Und wenn doch, vielleicht war ich einfach eine Heulsuse. Vielleicht
war es ein völlig natürlicher Zustand, mit dem alle anderen sich ohne viel Wenn
und Aber abfanden.
    Endlich spießte sie ein
Salatblatt auf. Sie knabberte es nur mit den Vorderzähnen von der Gabel, wie
ein Kaninchen, fixierte dabei die ganze Zeit Delia mit hoffnungsblauen Augen.
    »Das erinnert mich an Melinda
Hawser«, erzählte Delia. »Eine Frau, die ich vergangenen Thanksgiving bei Belle
kennengelernt habe. So wie die loslegte, dachte ich, Weihnachten ist sie
geschieden! Aber ab und zu läuft sie mir in der Stadt übern Weg und ist
verheiratet wie eh und je. Geht ihr offenbar ausgezeichnet.«
    »Genau«, sagte Ellie. »Also
überlege ich ständig, Ginge es mir womöglich auch ausgezeichnet? Hätte ich
durchhalten sollen? Und dann fallen mir die guten Sachen ein. Wie gern er
mir beim Schminken zusah, bevor wir auf Partys gingen — bewunderte mich, als
könnte ich zaubern; oder als das Baby da war und wir sechs Wochen lang keinen
Sex haben durften, da haben wir uns nur geküßt, was waren das für wunderbare
Küsse...« Die blauen Augen schwammen jetzt in Tränen. »Oh, Delia«, sagte sie.
»Ich habe einen Fehler gemacht, oder?«
    Delia sah taktvoll auf die
Messinglampe. Sie sagte: »Den können Sie doch wieder gutmachen. Ab ins
Auto und nach Hause.«
    »Niemals«, sagte Ellie und
tupfte mit der Serviette dicht unter ihre Augen. »Das hätte er wohl gern!«
sagte sie.
    Und was wäre aus Delia
geworden, hätte Ellie anders geantwortet?
     
    * * *
     
    Belle erzählte Delia, sie habe
in Bay Borough nicht das Geringste verpaßt. »Öde wie ein Grab«, sagte sie, als
sie, eine Hand am Steuer, träge ihres Wegs fuhr. »Kleines Spektakel im Gemeinderat
- Zeke Pomfret möchte am Bay Day dieses Jahr kein Baseballspiel - statt dessen
Hufeisenwerfen oder sonst was, aber Bill Frick will es natürlich wie gehabt.
Eigentlich auch keine Überraschung, stimmt’s? Und Vanessa schwört, sie habe
über mich und Horace die ganze Zeit Bescheid gewußt, aber ich glaube ihr kein
Wort. Und wir haben einen Hochzeitstermin: achtzehnter Dezember.«
    »Oh, Weihnachtszeit!« sagte
Delia.
    »Ich will unbedingt in rotem
Samt heiraten«, erklärte Belle.
    Sie ließen die glitzernde Strandwelt
hinter sich und fuhren durch flacheres, farbloseres Gelände. Delia sah die
schäbigen Cottages vorbeigleiten, dann nüchterne alte Bauernhäuser, dann ein
verlassener Obst-und-Gemüse-Straßenstand, eigentlich nur noch ein morscher
grauer Holzhaufen. Das erste Mal, als sie diese Straße fuhr, wäre sie nie auf
die Idee gekommen, daß ihr so eine Gegend gefallen konnte.
    Zu Hause bei den Millers war
der Rasen im Vorgarten zu kurz gemäht, die Kanten ausgerissen, und jeder Busch
stand in einem Kreis Rindenmulch. Offensichtlich hatte Joel viel Zeit gehabt.
Drinnen zeigte die Katze Delia die kalte Schulter, versuchte ihr, indem sie
demonstrativ lahm durch die leeren Zimmer folgte, Schuldgefühle zu machen. Das
Haus war aufgeräumt, doch irgendwie deprimierend, die Junggesellenwirtschaft
hatte ihre Spuren hinterlassen; ein großes, nasses Küchenhandtuch hing anstelle
eines Wischlappens über dem Hahn am Spülbecken, und die Herdschalter und
Schrankgriffe waren von einer dünnen Fettschicht überzogen (Männer machen nie sauber,
wo man es nicht sofort sieht). Auf ihrer Kommode lag eine Nachricht: Delia —
ich hole Noah ab. Sie brauchen kein Abendessen zu machen; wir gehen nachher
zusammen aus, J. Post hatte sie auch bekommen: eine auf steifem
cremefarbenen Papier handgeschriebene Einladung. Driscoll Spence Avery und
Susan Felson Grinstead heiraten und bitten um Ihre Anwesenheit am Montag, den 27. September, 11 Uhr im Hause Grinstead. R.S.V.P.

Wieviel ließ sich aus ein paar
Dutzend Worten lesen! Zum Beispiel war es Susies Handschrift (blaue Tinte,
steil und rechtslastig), und Eltern wurden nicht erwähnt — wahrscheinlich ein
Beweis, daß sie eigenmächtig handelte. Doch Sam hatte offenbar nachgegeben,
denn die Hochzeit fand

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