Kleine Abschiede
Ellie schaute sie erwartungsvoll an.
»Ist es ein komisches Gefühl,
allein schwimmen zu gehen?«
»Komisch? Nein.«
»Und essen? Haben Sie die ganze
Zeit auf Ihrem Zimmer gegessen?«
»Großer Gott, nein! Ich bin
essen gegangen.«
»Ich gehe so ungern allein
essen«, sagte Ellie. »Sie können sich nicht vorstellen, wie ich Sie darum
bewundere.«
Sie unterbrachen ihr Gespräch,
um zu bestellen — gegrillte Garnelen für Delia, ein großer grüner Salat ohne
Dressing für Ellie doch kaum hatte sich der Ober wieder entfernt, sagte Ellie:
»Haben Sie vorher geübt? Bevor Sie von, äh, Ihrem früheren Wohnort weggegangen
sind?«
»Geübt?«
»Sind Sie früher oft allein
essen gegangen?«
Allmählich begriff Delia,
worauf Ellie hinaus wollte: sie erhoffte sich Rat fürs Leben allein. Denn dann
sagte sie: »Ich war noch nie allein essen. Ich bin mein Lebtag kaum allein auf
der Straße gewesen! Hatte immer wen im Schlepptau. Als Mädchen war ich
entsetzlich beliebt. Jetzt denke ich manchmal, ein bißchen weniger beliebt wäre
auch nicht schlecht gewesen. Wissen Sie, wann ich zum ersten Mal überlegt habe,
Joel zu verlassen? Drei Monate nach unserer Hochzeit.«
»Drei Monate!«
»Aber immer ging mir durch den
Kopf: Was mache ich dann bloß allein? Dann starren mich alle an und fragen
sich, ob mit mir was nicht stimmt.«
Sie rückte näher an Delia
heran. Sprach leiser. »Dee«, sagte sie. »Ja?«
»Mußten Sie weggehen?«
Delia wich leicht zurück.
»Ich meine, war Ihre Lage...
unerträglich? Mußten Sie raus? Hätten Sie es keine Minute länger ausgehalten?«
»Nein, nicht direkt«, sagte
Delia.
»Ich will nicht unhöflich sein!
Ich will keine Geheimnisse wissen. Die Frage ist nur, wie verzweifelt eine Person
sein muß, bevor sie mit Sicherheit weiß, jetzt muß sie gehen?«
»Verzweifelt? Na, ja, ich war,
glaub’ ich, nicht... also, sicher bin ich mir immer noch nicht, wirklich.«
»Nicht?«
»Ich meine, es war keine echte
Entscheidung«, erklärte Delia.
»Nehmen Sie mich, zum
Beispiel«, sagte Ellie. »Finden Sie, ich habe einen Fehler gemacht? Da sitzen
Sie zu Hause mit meinem Mann; finden Sie, ich bin vorschnell gegangen?«
»Ich bin nicht mit ihm
verheiratet. Das ist der Unterschied.«
»Aber Sie wissen doch mittlerweile,
wie er ist. Sie wissen, wie pingelig er ist und die... andauernde Rechthaberei
und die ewige Kritisiererei.«
»Joel, kritisieren?« fragte
Delia. »Belle Flint meint, er hat Sie auf Händen getragen! Alles im Haus
versucht er in dem Zustand zu halten, wie Sie es verlassen haben, hat Ihnen das
keiner erzählt?«
»Oh, ja, hinterher«, sagte Ellie. »Aber solange ich da war, hieß es ewig: ›Warum machst du das nicht
lieber so, Ellie‹, und ›Warum machst du es nicht lieber anders, Ellie?‹, und
ewig die kalten stummen Blicke, wenn er nicht seinen Willen kriegte.«
»Tatsächlich«, sagte Delia.
Und schon hatte sie Sam vor
Augen, wie er vorm Eisschrank stand und ihnen den korrekten Umgang mit rohem
Geflügel predigte. Für Sam lauerten an allen Ecken und Enden Lebensmittelvergiftungen,
als lebten sie in einer Bananenrepublik, Joel war das völlig egal. Nein, Joels
Sorgen waren liebenswerter — seine Haushaltspläne und Arbeitslisten. Sie
entsprangen so eindeutig seinem Drang nach Beständigkeit. Er brauchte
eigentlich nur Sicherheit.
Oder traf das auch auf Sam zu?
Ihr Essen kam, und der Ober
schwenkte eine Pfeffermühle, so groß wie ein Treppenpfosten. Er fragte:
»Möchten die Damen —?«
»Nein, nein, weg damit«, sagte
Ellie und verscheuchte ihn. Kaum wieder allein, fuhr sie fort: »Drei Monate
nach unserer Hochzeit«, sagte sie, »fuhr Joel auf eine Konferenz nach Richmond.
Ich atmete auf: Frei! Am liebsten wäre ich durchs Haus getanzt. Ich war
förmlich im siebten Himmel. Ich spielte Alleinsein, räumte alle seine
Schubladen aus und packte den Inhalt in Kartons. Packte alle seine Sachen weg,
die im Schrank hingen. Tat, als wohnte ich allein und ohne jemanden, der mir
ständig über die Schulter sah. Er sollte erst Mittwoch wiederkommen, und
Dienstag abend wollte ich alles zurück an seinen Platz legen, damit er nichts
merkte. Statt dessen kam er früher nach Hause. Dienstag mittag. ›Ellie?‹ sagte
er. ›Was ist das denn?‹ ›Oh‹, habe ich geantwortet, ›ich wollte nur mal
ausprobieren, ob ich mehr Schubladen brauche.‹ So bin ich langsam in den Ruf gekommen,
ich hätte nicht alle Tassen im Schrank. Dabei war der eigentliche Grund gar
nicht so
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