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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Sie das?« fragte sie ihn.
    »Er weiß nicht, was Ausflüchte
sind«, sagte Joel.
    Sie klappte ihr Sandwich auf
und löffelte den Krautsalat heraus.
    »Er kennt das Wort ›Ausflüchte‹
nicht! Können Sie sich das vorstellen?«
    Sie antwortete nicht. Noah
sagte: »Da ist doch nichts dabei! Mama mia!«
    »Nichts dabei!« äffte Joel
nach. »Kriegen die Kinder heutzutage in der Schule nichts mehr beigebracht?
›Ausflüchte‹ ist doch nicht besonders hochtrabend, mein Gott.«
    Delia spürte, wie Noah
beschloß, lieber nicht zu fragen, was ›hochtrabend‹ hieß.
    »Manchmal habe ich den Eindruck,
die Sprache schrumpft auf einen kleinen dürren Rest zusammen«, befand Joel.
»Ansonsten nur noch Junk, die eigentlichen Worte sind längst verschwunden. Vor
kurzem habe ich festgestellt, daß unser Mensapächter nicht weiß, was Besteck
ist.«
    »Besteck?« fragte sie.
    »Anscheinend ist das Wort aus
der Mode.«
    »›Besteck‹ ist aus der Mode?«
    »Ich wüßte keine andere
Erklärung. Ich teilte ihm mit, daß wir neues Besteck bestellt haben, und er
fragt: Was ist das denn?«
    »Oh, dummes Zeug«, sagte Delia.
»Du weißt aber, was Besteck ist«, sagte sie zu Noah gewandt.
    Er nickte, wagte aber nicht, es
unter Beweis zu stellen.
    »Sehen Sie? Das ist doch nicht
aus der Mode! Teensy«, rief Delia, »bringen Sie uns neues Besteck, bitte?«
    »Kommt sofort«, antwortete
Teensy, und von der Theke kam Messer- und Gabelgeklapper.
    Delia schaute triumphierend zu
Joel.
    Noah grinste. »Zeig’s ihm,
Dee«, lachte er. Und schließlich lächelte auch Joel.
    Delia lächelte auch und klappte
ihr Sandwich mit Nachdruck zusammen. Fast unhörbar summte sie — ein leises,
weiches, tonloses Summen wie das Schnurren einer Katze.
     
     
     
    18 Binkys Baby wurde am Labor Day
geboren. Nat rief am gleichen Nachmittag an; er gab die Neuigkeit mit
entzückter, beinah sich überschlagender Stimme preis. »Sieben Pfund, 200
Gramm«, jauchzte er. »James Nathaniel Moffat.«
    »James!« sagte Delia. »Ein
Junge?«
    »Ein Junge. Stell dir das vor.«
Er lachte in seinen Bart. »Ich weiß gar nicht, was ich mit einem Jungen
anfangen soll.«
    »Du machst das schon«,
beruhigte ihn Delia. »Noah ist gerade zu einem Picknick, aber er wird
begeistert sein. Wie geht es Binky?«
    »Allerbestens. Es ging alles
wie im Schlaf, für James auch. Warte, bis du ihn siehst. Er hat ein Gesicht,
kreisrund wie eine Taschenuhr, und jede Menge blondes Haar, aber Binky
meint...«
    Wenn man ihn hörte, hätte man
nicht gedacht, daß er dies schon viermal mitgemacht hatte.
    Delia hatte übertrieben, als
sie behauptete, Noah wäre begeistert. Oh, sicher, es interessierte ihn — aber
in Maßen — , er wollte wissen, wem das Kind glich und was die Leitung gesagt
hatte. Doch am Mittwochmorgen bat er, seinen gewohnten Besuch zu verschieben.
Das neue Schuljahr hatte angefangen, und er wollte zur Probestunde in die
Ringermannschaft. Delia beharrte: »Was meinst du, wir gucken uns ganz kurz das
Kind an, und danach bringe ich dich zur Probestunde?«
    »Geht es nicht morgen?«
    »Morgen gebe ich Nachhilfe,
Noah, und übermorgen ist der Tee für die Klassenmütter, und wenn du zu lange
wartest, glaubt dein Großvater, du freust dich nicht. Ich rufe ihn an und sage,
daß du nur ein Minütchen bleiben kannst.«
    »Na, gut«, sagte er halbherzig.
    Als sie ihn von der Schule
abholte, versuchte er gerade Jack Foster vom Gehweg zu drängeln, und sie mußte
hupen, um sich bemerkbar zu machen. Er machte sich los, riß die Beifahrertür auf
und plumpste ins Auto. »Hallo«, begrüßte sie ihn, doch er rutschte nur tief in
seinen Sitz und zog sein Phillies-Cap in die Stirn. Dann, auf dem Highway,
erklärte er: »Ich muß langsam endlich damit aufhören.«
    »Womit?«
    »Ich kann nicht immer nur Leute
besuchen! Mama, Großvater... Ich bin in der achten Klasse! Ich habe Wichtigeres
zu tun!«
    Seine Stimme kiekste bei dem
Wort »Wichtigeres«, und Delia sah ihn prüfend an. Er kam in den Stimmbruch, stellte
sie fest. Oh Gott, schon wieder ein pubertierender Jugendlicher!
    Aber sie sagte nur: »Vielleicht
verlegst du deine Besuche aufs Wochenende.«
    »Am Wochenende unternehme ich
etwas mit meinen Freunden. Sonst verpasse ich den ganzen Spaß!«
    »Na, ich weiß nicht, Noah«,
sagte sie. »Sprich darüber mit Nat und deiner Mutter.«
    »Und sei doch so nett und fahr
unter Hundert! Ich lebe bald nicht mehr und kann gar nichts besprechen, wenn du
wie eine Irre Auto

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