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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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bitte?«
    »Das runde kleine Fenster ganz
oben, über der Treppe wahrscheinlich. Rue-Ray macht ständig runde Fenster.«
    »Oh, gut«, sagte sie und
schüttelte ihm die Hand, nur um ihn loszuwerden. Doch dann geschah etwas
Seltsames. Während sie seine Reisigbesen-Finger hielt, sein schmachtendes
Biberzahnlächeln erwiderte, vermißte sie ihn schon, aus unerfindlichen Gründen.
Am liebsten wäre sie wieder in seinen Wagen gestiegen und mit ihm
weitergefahren.
     
    * * *
     
    Vier Wagen standen in der
Einfahrt, ein ramponierter dunkelroter Lieferwagen, Elizas Volvo und ein
kleiner roter Sportwagen. Der Maulbeerbaum warf bereits seine Blätter ab, die
immer wie angekaut aussahen, und sie paßte auf, daß sie nicht auf den Eicheln
ausrutschte, die im Weg lagen. Offensichtlich hatte niemand daran gedacht zu
fegen.
    Die Fensterläden waren
repariert. Aber die neuen Riegel hatten eine andere Farbe — das Braun war
blasser, stumpfer, wie ein vergessener Voranstrich. Auf der obersten Stufe der
Verandatreppe lag eine neue Sisalmatte, und ein Topf mit gelben Chrysanthemen
und Alufolien-Manschette stand neben der Tür.
    Klopfen oder einfach
hineingehen?
    Sie klopfte. (Klingeln kam ihr doch
übertrieben vor.) Keine Antwort. Sie klopfte fester. Schließlich drückte sie
die Klinke und steckte den Kopf durch die Tür: »Hallo?«
    Für ein Haus, in dem in weniger
als einer Dreiviertelstunde eine Hochzeit stattfinden sollte, wirkte es nicht
besonders einladend. Der Flur war menschenleer, das Eßzimmer auch, obwohl Delia
(bei eingehender Besichtigung) ein weißes Tischtuch auf dem Tisch bemerkte. Sie
setzte ihren Koffer ab, wollte weiter in die Küche, aber aus der tauchte mit
irgend etwas Heißem in einer Henkeltasse Eliza auf. Sie achtete so sehr auf die
volle Tasse, daß sie einen Augenblick brauchte, bis sie Delia sah. Dann sagte
sie: »Oh!« und blieb wie angewurzelt stehen.
    »Ich weiß, ich bin zu früh«,
versicherte Delia.
    »Oh, Delia! Dem Himmel sei
Dank, daß du da bist!«
    »Stimmt was nicht?« fragte
Delia. Sie war natürlich erschrocken, aber auch froh, daß sie gebraucht wurde.
    »Susie hat es sich anders
überlegt«, rief ihr Eliza über die Schulter zu. Sie war auf dem Weg die Treppe
hinauf.
    Delia schnappte ihren Koffer
und folgte. »Anders überlegt mit dem Heiraten?« fragte sie.
    »Das behauptet sie jedenfalls.«
    »Wann ist das passiert?«
    »Heute morgen«, warf Eliza
zurück und ging nach oben. Sie trug ein neues Kleid, A-Linie, magentarot; Delia
konnte sich nicht vorstellen, daß Eliza es selbst ausgesucht hatte, dazu
Lackschuhe mit hohen Absätzen, die auf den Stufen hallten. »Gestern hat sie in
ihrem alten Zimmer übernachtet«, sagte sie, »und heute morgen, als wir ankamen,
habe ich Sam gefragt: Wo ist Susie? Ist sie noch nicht aufgestanden? und er
meint — «
    Delia war durcheinander. Susies
altes Zimmer? Wo war ihr neues? Und wer waren wir, und woher waren sie
gekommen?
    Von Sam war nichts zu sehen.
Keine Spur.
    Sie waren im ersten Stock
angekommen, und Eliza, die Henkeltasse in beiden Händen, schob sich durch die
spaltweit geöffnete Tür in Susies Zimmer. »Sieh mal, wen ich mitgebracht habe!«
sagte sie. Delia setzte ihren Koffer ab und trat hinter ihr ein.
    Zuerst fiel ihr das Zimmer auf.
Früher war es Lindas Zimmer gewesen, voll Rüschen, Blumenmustern und
Chintzvolants; jetzt war es ein nacktes Gehäuse, unwohnlich, ohne Vorhänge oder
Teppiche, nur möbliert mit einem Klappbett und einer häßlichen Kommode mit
abgerundeten Ecken, die auf dem Dachboden gestanden hatte. Susie saß im
Schneidersitz in einem Wirrwar von Decken, trug einen gestreiften Schlafanzug.
Um sie herum, ebenfalls auf dem Klappbett, saßen, alle feingemacht, manche viel
zu fein — Linda, Lindas Zwillinge und eine rundliche junge Frau, auf deren
Namen Delia nicht gleich kam. Sie schauten der Reihe nach gespannt auf, als
Delia da stand, doch Delia schaute nur Susie an. Susie sagte: »Mama?«
    »Hallo, mein liebes Herz.«
    Sie beugte sich über Susie und
umarmte sie, sog Susies einzigartigen Geruch in sich auf, ein Hauch von Dill.
Sie ließ sie nicht los, sondern setzte sich neben sie aufs Bett.
    »Mama, ich will nicht
heiraten«, sagte Susie.
    »Dann laß es«, erklärte Delia.
    »Delia Grinstead!« zeterte
Linda. »Wir versuchen ihr einen Funken Vernunft beizubringen, wenn du nichts
dagegen hast!«
    Linda trug eine Bifokalbrille —
das war neu. Die Zwillinge waren ein gehöriges Stück gewachsen, und von ihren
Kleidern

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