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Kleine Einblicke

Kleine Einblicke

Titel: Kleine Einblicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathilda Grace
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gegangen, weil ich einfach nur fertig war.“ Adrian war heute noch verblüfft darüber, wie naiv und unschuldig er damals gewesen war. „Ich habe mich völlig auf James verlassen. Ich war wirklich noch ein Kind.“
    „Du hattest gerade erst deine Eltern verloren“, wandte Nick ein, aber Adrian schüttelte den Kopf.
    „Das meine ich nicht. Ich bin damals einfach davon ausgegangen, dass James schon alles regeln würde, wie er es immer gemacht hat. Das hat er auch, aber ohne ihn wäre ich in der Gosse oder sonst wo gelandet. Jedenfalls konnte ich nicht einschlafen und nach einiger Zeit hörte ich die Tür zu meinem Zimmer aufgehen. James hat nichts gesagt, das musste er auch nicht. Ich wusste genau, was er wollte und ich habe es James gegeben, weil ich es genauso wollte.“ Adrian schloss die Augen und sah für einen Augenblick James' lächelndes Gesicht vor sich. Er ließ die Erinnerung ziehen und suchte Nicks Blick. „Danach konnte ich weinen. Wir haben es beide getan.“
    „Ihr habt euch gegenseitig geholfen.“
    „Wahrscheinlich“, gab Adrian zu, denn über diese erste Zeit nach dem Tod seiner Eltern hatte er so oft nachgedacht, ohne irgendeine vernünftige Erklärung zu finden. Psychische Ausnahmesituation, das hatte zumindest sein Psychologe zu ihm gesagt, als Adrian ein paar Jahre später eingesehen hatte, dass er Hilfe brauchte.
    „James ist tot, oder?“, fragte Nick nach ein paar Minuten leise, die er ihn einfach nur angesehen hatte.
    Adrian nickte. „Wie ich schon sagte, er kam mit dem Tod meiner Eltern noch viel weniger zurecht als ich. James blieb bei mir, bis ich Einundzwanzig und alt genug war, um allein handeln zu können. Ich weiß nicht, ob er das alles von Anfang an geplant hat. Es gab keinen Abschiedsbrief, nichts.“ Adrian ließ den Stift los und sah dabei zu, wie er über den Tisch rollte, um von Nick aufgefangen zu werden, bevor er zu Boden fallen konnte. „Eine Woche nach meinem Geburtstag ist James aus dem Fenster seines Büros gesprungen.“
    „Es tut mir so leid, Adrian“, sagte Nick hörbar entsetzt und als er aufstand, wäre Adrian am liebsten geflüchtet. Aber er blieb, so wie er auch bei David geblieben war, als der dasselbe getan hatte, wie Nick es jetzt vorhatte, denn er kam um den Schreibtisch herum. „Verpasst du mir eine, wenn ich dich aus deinem Stuhl zu mir ziehe und umarme?“
    Adrian gluckste unwillkürlich. Das war so typisch Nick. „Nein.“
    „Na wenn das so ist...“, murmelte Nick schlicht und tat, was er zuvor angekündigt hatte.
    „Ich habe mich oft gefragt, ob ich es hätte verhindern können“, sagte Adrian irgendwann in die entstandene Stille hinein und wurde daraufhin noch enger an Nicks Körper gezogen, der ihn in den Armen hielt. Adrian lächelte an Nicks Schulter, denn die Geste war mehr als eindeutig. „Ja, ich weiß. Sag' es nicht.“ Nick seufzte leise. „Nach James' Tod, als ich den ersten Schock überwunden hatte, habe ich mir Hilfe gesucht und dadurch begriffen, dass ich gar nichts hätte ändern können. Und so komisch das auch klingt, ich bin James heute dankbar. Auch für seinen Tod. Er hat mir den Weg geebnet. Er hat mir gezeigt, wie ich in der Welt zurechtkomme, die mir damals völlig fremd war. Er ist der Grund dafür, warum ich nicht von dir lassen konnte. Warum ich immer helfen muss, wenn ich helfen kann.“
    „Du könntest es nicht ertragen, noch mal einen Menschen auf diese Weise zu verlieren“, sprach Nick aus, was er nicht konnte.
    „Nein“, gab Adrian zu. „Das könnte ich nicht. Deshalb bin ich im Krankenhaus damals auch so ausgeflippt, als Trey im Sterben lag. Ich weiß, dass du dich schon sehr lange fragst, wie ich, allgemein die Ruhe selbst, so sehr aus der Haut fahren konnte.“
    Nick lachte leise und streichelte ihm dabei durchs Haar. „Ist es so offensichtlich?“
    „Ich kenne dich eben, Nicholas, und ja, es ist offensichtlich.“ Adrian hob den Kopf und wich soweit zurück, dass er Nick ansehen konnte. „Für mich jedenfalls.“
    „Bist du wegen James Anwalt geworden?“, kam dann die Frage, auf die Adrian schon eine Weile gewartet hatte.
    „Auch“, gab er zu. „Fasziniert hat es mich schon immer, aber als James' starb wusste ich, dass es das ist, was ich wollte. Für ihn und auch für mich. Ich hätte nichts Anderes werden können, und ich habe es nie bereut. Im Gegenteil.“
    Nicks Antwort war ein liebevolles Lächeln und ein Nicken, bevor er sich an den Schreibtisch lehnte, seine tröstende Umarmung

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