Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Passauer Bischof Wolfger, den Walther in einer seiner Dichtungen als großen Förderer bezeichnet (L. 34, 34), hatte er 1203 auf einer Reise nach Wien in Zeiselmauer im Tullner Feld jene berühmten 5 Schillinge
pro pellico,
für einen Pelzmantel, bekommen, deren Vermerk in einem Rechnungsbuch das einzige Lebenszeichen außerhalb seiner Dichtung bleiben sollte. Ein Mantelgeschenk war ehrenhaft, denn als Adeliger hätte er schnöden Geldlohn eigentlich nicht annehmen dürfen, aber wofür er das Geld wirklich verwendet hat, wissen wir nicht.
Ein Lehen aber, ein von einem geistlichen oder weltlichen Großen verliehenes Adelsgut, versprach einen Ruhepol und eine Altersversorgung. Der Tannhäuser, ein Dichter des 13. Jahrhunderts, hingegen klagt (XIV, Str. 3), dass er mit Wein, Weib und zweimal in der Woche baden – was offenbar auch Luxus war und teuer kam – sein Gut vor lauter Schulden bald verlieren würde.
Dame
Auf den 1. Mai 1174 datiert ein Autor, der in einigen Handschriften Andreas Capellanus genannt wird, ein Schreiben von Marie, Gräfin der Champagne, Tochter der Eleonore von Aquitanien und König Ludwigs VII. von Frankreich. Ein edles Paar habe die große Gönnerin der Dichter brieflich um ein Urteil über das Verhältnis von Minne und Ehe gebeten. Sie soll geantwortet haben, «dass die Liebe ihre Kräfte nicht zwischen zwei Ehegatten entfalten kann. Denn Liebende schenken einander wechselseitig alles umsonst ohne Zwang durch eine begründete Notwendigkeit. Eheleute aber sind schuldig und verpflichtet, den gegenseitigen Wünschenzu gehorchen und einander nichts zu verweigern» (De amore VI 397, Übersetzung nach Knapp).
Diese Quelle wurde für viele Forscher und für lange Zeit sozusagen zum Credo, und daher sei hier ein kleiner Exkurs erlaubt. Eleonore, die Mutter Maries, hatte den französischen König verlassen – offiziell wurde die Ehe 1152 wegen zu naher Verwandtschaft annulliert – und noch im selben Jahr König Heinrich II. von England geheiratet; ihre Töchter aus erster Ehe blieben mit der Mutter in Verbindung. Die genaue Identität des Dichters Andreas kennen wir nicht; sie ist wegen des alltäglichen Namens nicht leicht zu erschließen. Es könnte, so die gegenwärtig vertretenen Theorien, entweder der fiktive Kaplan eines «Minnekönigs» gemeint sein, oder er war tatsächlich ein Kaplan des französischen Königs. Ich vermute, dass beide Motive bei dieser Autor-Konstruktion kunstvoll und legitimierend miteinander verwoben sind.
Für einen Kaplan des französischen Königs wäre Marie von Champagne, obwohl Königstochter, als Tochter der am Hof nicht mehr gerade beliebten Eleonore aber eine eher negative Figur. Ihre «Expertise» wäre dann satirisch gemeint. Das gilt meines Erachtens für das ganze Werk «De amore», das wohl eher als hochstilisierte Satire aufzufassen ist denn als reale Aussage über das zeitgenössische Liebesverständnis. Dann fügt sich übrigens auch das dritte Buch, das
de reprobatione amoris,
von der Verwerfung der Liebe, handelt, und in dem die ganze Liebeslehre ins Negative gekehrt wird, besser in das Gesamtkonzept.
In der epischen Dichtung spielt die Ehe eine viel größere Rolle, als man glauben wollte. Bald nach 1200 findet sich in einem Streitgespräch des provençalischen Trobadors Elias von Uisel das Argument, die eheliche Liebe sei vorzuziehen, weil man seine Liebste ohne Wächter, Rivalen oder Herrn besitze. Darauf geht offenbar ein Lied Wolframs von Eschenbach zurück. Er schrieb eine Reihe von «Tagliedern», deren Grundthema normalerweise die leidvolle Trennung der Liebenden beim Morgenruf des Wächters ist. Nur in einem (Nr. 5) wendet er die Geschichte zu einem fürdiesen Liedertypus überraschenden Schluss: Das
offeniu süeziu wirtes wîp,
die legale, liebende eigene Frau
– wîp
ist im Mittelhochdeutschen ein Ehrenwort und
wirt
ist der Hausherr –, muss man am Morgen nicht heimlich verlassen.
Wir wissen: Ehen im Adel wurden aus politischen Gründen geschlossen. Das Erbe ging aber im Wesentlichen an die Männer. Darum galt ein tödliches Verbot für Seitensprünge der verheirateten und künftigen Frauen. Männer hingegen konnten ihre Sexualität straflos auch außerehelich befriedigen, selbst wenn die Kleriker von Sünde wetterten.
Einfach wäre eine heimliche Liebe nicht gewesen. In den mittelalterlichen Behausungen, egal ob Bauernhof oder Burg, gab es keine Möglichkeit zu einem unbeobachteten Stelldichein, auch wenn – was jedoch
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