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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Brunner
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gefährlich war – das allgegenwärtige Personal mitgespielt haben sollte. Bestenfalls in den warmen Jahreszeiten konnte man sich im Freien heimlich treffen. In der Vorgeschichte über die Eltern Tristans hat Gottfried von Straßburg recht eindrucksvoll die Schwierigkeiten einer unerlaubten Beziehung dargestellt (vgl. S. 81). Den gelehrten Abaelard kostete die heimliche Beziehung zu Héloise seine Männlichkeit (vgl. S. 120).
    Trotz allem, was die Geschlechtergeschichte an Differenzierungen herausarbeiten konnte, ist wohl ebenso nachvollziehbar, dass viele Frauen der Oberschicht die ihnen zugewiesenen Rollen verinnerlicht hatten: Sie dachten ebenso wie Männer vornehmlich politisch, wenn sie personale Beziehungen im Auge hatten. Manche Frauen waren wohl ganz einfach stolz darauf, der «Preis» für die Besten zu sein. Viele Frauen und Männer werden das höfische Spiel der Minne genossen haben, ohne allzu viel zu riskieren.
    Dennoch blieben Wünsche und Sehnsüchte, die das reale Leben selten zu erfüllen vermochte. Dieses Ungenügen mag die höfische Minnekultur gefördert haben. Ihre Wurzeln sind weniger in der lateinischen Antike zu suchen. Die «Ars amatoria» des Ovid, die auch Andreas Capellanus kannte und die von unzähligen Mönchen und Klerikern gewissermaßen unter der Decke gelesen wurde, hatwie viele andere erotische Werke der Antike vorrangig ein Thema: das Begehren des Mannes. Bei der mittelalterlichen Minne ist aber die konkrete Frau die Hauptperson. Obwohl die Mehrheit der Lieder von Männern verfasst ist, waren Frauen nicht nur Adressatinnen, sondern auch Sponsorinnen. Ihr Lächeln und ihr Gruß wurden ersehnt, aber auch ihr Körper, wenigstens als lebendiges Idealbild.
    Die poetische Schilderung des weiblichen Körpers hat besonders im Orient eine Tradition, die weit in die Geschichte zurückreicht. Die historische Wurzel der Minnedichtung führt in die islamische Welt. Es wird kein Zufall sein, dass der Minnesang seine erste Blüte im Süden Frankreichs erfuhr, wo jenseits der Pyrenäen das spanische Kalifat lag, mit dem man keineswegs nur Feindseligkeiten austauschte.
    Eine wichtige Anregung bot überraschenderweise die Bibel, wo im Hohen Lied eine der schönsten Sammlungen der Liebeslyrik überliefert ist – übrigens eines der Bücher der Bibel, dessen Lektüre im Mittelalter am häufigsten Beschränkungen ausgesetzt war. Wenn es heißt: «Deiner Hüften Rund ist wie Geschmeide, gefertigt von Künstlerhand. Dein Schoß ist wie ein rundes Becken, Würzwein mangle ihm nicht. Dein Leib ist ein Weizenhügel, mit Lilien umstellt. Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer Gazelle» (7, 2–4), dann ist kein weiter Weg zu Walthers von der Vogelweide berühmter Schilderung der Frau Venus im Bade:
Si wunderwol gemachet wip

Ir houbet ist so wünnenrich …
da liuhtent zwene sternen abe

got hat ir wengel hohen fliz,
er streich so tiure varwe dar,
so reine rot, so reine wiz,
hie roeseloht, dort liljenvar.


ir kel, ir hende, ietweder fuoz,
daz ist ze wunsche wol getan.

ob ich da enzwischen loben muoz
so waene ich me beschowet han.
Ich hete ungerne «decke bloz!»
gerüefet, do ich si nacket sach.

da si reine uz einem bade trat
Sie wundervoll geschaffene Frau

Ihr Haupt ist so wunderschön …
Zwei Sterne leuchten dort herab

Gott hat auf ihre Wangen viel Mühe
verwendet,
er hat so kostbare Farbe aufgetragen,
so reines Rot, so reines Weiß,
hier rosenrot, dort lilienfarbig

Ihr Hals, ihre Hände, beide Füße,
das ist, wie man’s nur wünschen kann,
gestaltet.
Wenn ich dazwischen preisen darf,
so glaube ich, mehr gesehen zu haben.
Ich hätte ungern «deck dich zu»
gerufen, als ich sie nackt sah

als sie rein aus einem Bade stieg.
    Walther, L 53, 25, Übersetzung nach
Maurer
    Die Körperlichkeit der irdischen Liebe, wird ungescheut als Metapher für das Verhältnis des Betenden zu Gott, die Gottesminne, verwendet. Daher kann das Repertoire der Minnedichtung auch auf die höchste Frau des Christentums angewandt werden. Gautier de Coinci, Abt von Saint-Médard de Soissons (†1236), sang:
Qui que chant de Marete,
je chant de Marie.
Chascun an li doi par dete
une raverdie.
C’est la fleurs, la vïolete,
la rose espanie,
qui tele odeur done et jete
toz noz rasasie.
Haute odeur
sour tote fleur
a la mere au haut seigneur.
Wer auch immer von Mariechen singen
mag, ich singe von Maria.
Jeder schuldet ihr als Schuld eine Reverdie
(Frühlingsgedicht).
Sie ist die

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