Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Sprachen entwickelt.
Der Kirchenvater Augustinus († 430) setzte sich damit auseinander, welche Art von Gelehrsamkeit im christlichen Gebrauch angemessen sei. Er meinte, man solle ohne Bedenken die drei Sprachebenen nach Cicero verwenden: den «niederen» Stil
(sermo humilis)
für Lehre und Schrifterklärung, den mittleren für Lob und Tadel und den erhabenen für Gemütsregungen, die Menschen zum Tun bewegen sollen. Er wies auch darauf hin, dass Paulus in seinen Briefen durchaus klassische rhetorische Elemente verwendete.
Damit war für das Mittelalter praktisch der Erwerb klassischer Bildung sanktioniert. Die Predigt bediente sich einer gemäßigten Hochsprache, die vermutlich in Anlehnung an die Umgangssprache ausgesprochen wurde, wie man es auch heute noch von Radio Vatikan hören kann, wo das Latein oft recht italienisch klingt. Bis ins 8. Jahrhundert konnten in romanischen Ländern Zuhörer dasKirchenlatein ohne Übersetzung weitgehend verstehen. Mit der Reform der Karolingerzeit wurde das offizielle Latein der Antike und der Kirchenväter zur Norm erhoben und war fortan auch für Romanen fremd.
Die lateinische Kultursprache hatte einen entscheidenden Vorteil: Was immer in ihr formuliert wurde, blieb in der einmal gewählten Bedeutung stabil, wie in einer genau definierten Fachsprache. Das Latein war eine Art «Tresor». Aus dem Tresor heraus wurde jeweils in die aktuellen und natürlich wandelbaren Volkssprachen übersetzt. Aus dem sorgsam konservierten Schatz des antiken Wissens im Tresor konnte man noch Jahrhunderte später jeweils das Wissen entnehmen, das man gerade brauchte und verstand.
Allerdings ist dieser Schatz durch einige Filter gegangen. Der eine Filter war die speziell christliche Interpretation der antiken Texte, repräsentiert durch Kirchenväter wie Ambrosius († 397), Hieronymus († 420), Augustinus († 430) und andere. Manch ein antiker Autor ist uns nur durch die Polemik gegen ihn bekannt. Einer der für das Mittelalter wichtigen Vermittler antiken Wissens war Isidor von Sevilla († 636) mit seinem kleinen Universallexikon, den «Etymologien», das auf den Regalen vieler Autoren im Mittelalter stand bzw. lag.
Schreibstoffe
Den anderen Filter stellte die Übertragung der Texte von der Papyrusrolle auf das dauerhaftere Pergament dar. Papyrus hielt sich, außer im Wüstenklima, nicht sehr lange. Die Auswahl dessen, was auf das Pergament kam, war selbstverständlich vom christlichen Interesse geprägt.
Papyrus wird aus kreuzweise zusammengelegten Streifen vom Mark des Papyrusschilfes hergestellt, das größtenteils aus Ägypten importiert wurde. Es kann nicht gefaltet werden, weil es sonst bräche, und wird daher Spalte für Spalte, im Lateinischen von links nach rechts, beschrieben und waagrecht eingerollt.
Pergament besteht aus einer Tierhaut. Es wurde schon in der Antike für Aufzeichnungen verwendet, die stärkerer Beanspruchung ausgesetzt waren, wie z.B. Wirtschaftsbücher. Der Spruch «Das geht auf keine Kuhhaut» ist doppelt spöttisch, weil man selten Kuhhäute verwendete, die viel zu grob waren. Man verwendete eher die Haut von Ziegen oder Schafen; je jünger die Tiere, desto feiner das Pergament. Eine solche Haut wird in einem Rahmen aufgespannt, abgeschabt und geglättet. Dann wird eine Kreideschicht aufgetragen, damit die Tinte nicht verrinnt. Schneidet man ein Rechteck heraus, bekommt man ungefähr ein doppeltes Folioformat, das etwa dem modernen Atlasformat entspricht. Faltet man es noch einmal, ergibt sich ein «Quartformat», d.h., man erhält vier Blätter. Das ist heute noch das gängigste Buchformat.
Der häufigste Rohstoff von Tinten wurde aus Galläpfeln gewonnen, das sind befruchtete Eier der Gallwespe, die als Larven Knoten an den Blättern von Eichen oder Rosen entwickeln. Deren Absud ergibt mit Eisensulfat oder anderen Metallsalzen eine tiefdunkle, haltbare Farbe. Details sind Geheimnisse der Schreibstuben. Zierbuchstaben und Vorzeichnungen für Illustrationen wurden zumeist in rotem Minium (Mennige) ausgeführt, einem Blei- oder Eisenoxyd; das Erstere ist hochgiftig. Daher heißt eine Handschriftenillustration «Miniatur» – nicht, weil sie meist klein ist.
Geschrieben wurde mit Federkielen oder mit Schilfrohr, radiert mit scharfen Messerchen. Meist wurde diktiert und der Autor war nicht zugleich Schreiber. Aufbewahrt wurden die Handschriften zunächst liegend in speziellen Bücherkästen. Oft blieben sie längere Zeit ungebunden in
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