Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
ihr Lebensunterhalt bestritten werden konnte. Auch das ist ein Grund dafür, dass man die Idee, Mädchen wären in ein Kloster «abgeschoben» worden, größtenteils in das Reich der Legende verweisen muss.
Nur eine fühlte sich zeitweise grausam abgeschoben, obwohl sie in ihrem neuen Leben als Äbtissin schließlich sehr erfolgreich werden sollte: Héloise, die Frau Abaelards († ca. 1164). Dieser war, nachdem ihr Verhältnis aufgeflogen war, grausam entmannt worden und hatte sich, wegen seiner Schriften von Vertretern der Amtskirche stark angegriffen, ebenfalls auf einen geistlichen Weg begeben. Ihre Korrespondenz gehört zur Weltliteratur (vgl. S. 131). Der letzte Brief ist eine Regelschrift, die Abaelard speziell für Paraklet (eine Bezeichnung für den Heiligen Geist), das Kloster seiner Frau, entwarf.
Wir finden zu allen Aufbruchs- und Reformzeiten starke Frauenbewegungen. Die Zisterzienser versuchten in ihren Anfängen, ganz ohne einen weiblichen Zweig auszukommen, mussten aber schließlich ebenfalls Damen in ihrem Ordensverband akzeptieren. Die Ordensfrauen lebten in strenger Klausur, d.h. Abgeschlossenheit. Die meisten verstanden das wohl als Schutz. Der Dienst, den sich ihre Familien von ihnen versprachen, bestand vor allem in Gebet, Gesang, der Fürbitte bei den himmlischen Herrschaften und dem stellvertretenden tugendsamen Lebenswandel.
Es gab aber, obwohl immer wieder verboten, auch direkten Kontakt mit der Außenwelt. Am häufigsten geschah das durch Briefe, deren Inhalt die ganze Spannweite von Alltagssorgen bis zu hochstehenden theologischen Anfragen umfasst. Einige der Äbtissinnen hoher Herkunft übten bedeutsamen politischen Einflussaus, teils durch Briefe und Boten, teils, weil man sie in ihren Klöstern besuchte und um Rat fragte. Mathilde von Quedlinburg († 999), die Tochter Kaiser Ottos I., war für ihren Neffen Otto III. sogar Reichsverweserin während seines jahrelangen Italienaufenthaltes.
Da aber die Damen bei der Selbstverwaltung ihrer Güter durch die Klausur stark eingeschränkt waren und der Besitz der Frauenklöster nicht selten von weltlichen und geistlichen Machthabern ausgebeutet wurde, weisen weibliche Ordenshäuser eine geringere Kontinuität auf als die der Männer. Außerdem verlagerten sich die Interessen von Sponsorinnen mit dem Wiederaufstieg der Städte eher auf dortige Gemeinschaften, Schwesternschaften und Altarstiftungen. Es war keineswegs immer die Reformation, die zum Ende vieler Nonnenklöster führte.
Kloster und Welt
Nicht zu unterschätzen ist der schon mehrfach erwähnte Anteil geistlicher Damen an der Bildung der weiblichen Laien. Die Quellen fließen spärlich, sprechen aber eine deutliche Sprache. Mädchen wurden in Klöstern erzogen und kehrten dann in ihre weltlichen Funktionen, meist eine Ehe, zurück (vgl. S. 37). Es hat wohl auch im «Frauenzimmer» höherer Häuser weibliches Personal gegeben, das in Klöstern ausgebildet worden war.
Bischöfe, weltliche Fürsten und Adelige konnten aus Klöstern Berater rekrutieren. Manche Gemeinschaften wurden direkt im Anschluss an Höfe und Bischofssitze gegründet, manche waren beliebte Rückzugs- und Fluchtorte für geistliche und weltliche Herren. Adelige Gönner zogen einen großen Vorteil aus der klösterlichen Wirtschaft: Das Kloster war für sie ein Musterbetrieb, besonders bedeutsam für die Kolonisation (vgl. S. 229f.). Die Mönche, vor allem die Zisterzienser, brachten auch die neuesten technischen und künstlerischen Errungenschaften ins Land.
Klöster wurden außerdem gerne an den großen Verkehrswegen gegründet, besonders an den Eingängen und Pässen der Alpen. Dort übernahmen sie wichtige Funktionen für die Versorgung der Reisenden. Für Reisende und Herrscher, die regelmäßig nach Italien ziehen mussten, hatten solche Klöster einen weiteren Nutzen: Sie verhinderten mit ihren Besitztümern, dass sich an neuralgischen Punkten weltliche Adelige festsetzen konnten und aus politischen oder militärischen Gründen den Verkehr störten.
Lateinische Schriftkultur
Bis zum 12. Jahrhundert wurden fast alle Aufzeichnungen in Kirche und Staat in lateinischer Sprache niedergeschrieben. Dieses Latein war nie eine gesprochene Alltagssprache gewesen. Schon in der Antike war die Sprache der Bildung und der Schrift deutlich abgehoben vom «Vulgare», der Volkssprache des Alltags. Die klassischen Texte wurden in einer Kunstsprache verfasst. Aus diesem Vulgärlatein haben sich die romanischen
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