Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Heften.
Notizen machte man auf Wachstäfelchen: kleinen dünnen Holzbrettchen, deren Fläche leicht eingetieft und mit dunklem Wachs ausgegossen ist, so dass man mit einem Metallgriffel leicht darauf schreiben konnte und bei Bedarf die Schrift mit dem stumpfen Ende des Griffels wieder löschte.
Antikes Erbe
In der Theologie im engeren Sinn ging es vor allem um die Schriftauslegung und um das dafür nötige Fachwissen. Große Teile der antiken Literatur dienten entweder inhaltlich oder formal diesem Ziel. Einige Werke der Antike wurden, wie das Alte Testament, als Vorboten des Christentums gelesen. Aus diesem Grund war Vergil im Mittelalter Schulautor. Seine besondere Prominenz geht auf die 4. Ekloge zurück, in der Vergil die Geburt eines Knaben mit dem Anbruch eines neuen Weltalters verbindet, was im Mittelalter als Christus-Prophetie gedeutet wurde. Daher setzte Dante in seiner «Göttlichen Komödie» auch Vergil als Jenseitsführer ein. Die mittelalterlichen Grammatiken waren voll von Zitaten aus Vergils «Aeneis».
Einer Legende nach hat Plato († 348/7 v. Chr.) in Ägypten Moses und die Propheten studiert. Daher sei sein Gottesbegriff dem jüdisch/christlichen so ähnlich. Platos «Timaios», vor allem die in diesem Werk enthaltene Kosmogonie (Weltentstehung), war in der Übersetzung des spätantiken Gelehrten Calcidius (um 400) einigen gebildeten Intellektuellen vertraut, vor allem in der Karolingerzeit und im 12. Jahrhundert.
Mit der Philosophie des Aristoteles († 322 v. Chr.) wurden mittelalterliche Gelehrte zunächst über die Werke des Boethius († 525) vertraut, die weit verbreitet waren. Besonders einflussreich war die aristotelische Logik. Sie wurde zur Grundlage der Schulphilosophie, der Scholastik.
Ab dem 12. Jahrhundert öffnete sich ein neues Tor zur Antike, besonders zu den aristotelischen Werken. Man griff zunächst auf Übersetzungen aus dem Arabischen zurück, wo viel antikes Wissen, vor allem in der Medizin (bei Avicenna, † 1037) und in der Philosophie (bei Averroes, † 1198), erhalten geblieben war. Dieser Weg führte meist über das islamische Spanien oder über Handelskontakte, während die Kreuzzüge relativ wenig zum kulturellen Transfer beitrugen (vgl. S. 212).
Abb. 20: Boethius, auf Wachstafeln schreibend, 12. Jh., Oxford
Bodleian Library Auct. F.6.5
Dies hatte eine weitere Öffnung zur Antike zur Folge: Die Texte waren aufgrund der mehrfachen Übersetzungen teilweise so schwierig geworden, dass man sich auf einem hohen intellektuellen Niveau befinden musste, um sie verstehen zu können. Die weitere Übersetzertätigkeit wandte sich daher wieder direkt den griechischen Originaltexten zu. Infolgedessen wurde, wie erwähnt, ab der Mitte des 13. Jahrhunderts das aristotelische Gedankengut Basis der
Artes Liberales
(S. 99).
Diskurse der «Wahrheit»: Dialoge
Grundsätzlich ging es mittelalterlichen Autorinnen und Autoren nicht um Originalität. «Die Wahrheit» – so wurde die Heilige Schrift auch genannt – war ja schon geoffenbart. Sie bedurfte nur mehr der Auslegung. Es kommt zu einer Art ewigem Diskurs, der im Grunde zeitlos von den ersten Kirchenvätern bis zur jeweiligenGegenwart anhielt. Solche Werke bedürfen bei ihrer Drucklegung in kritischen Editionen einer hohen Kunst der Herausgeber, weil sie für die Leser unserer Zeit nicht nur den Text bieten, sondern auch die in ihm eingebetteten Anklänge sichtbar machen müssen, damit er verstanden werden kann.
Wer in diesem Diskurs von der Hauptlinie abwich, konnte rasch der Anschuldigung der Ketzerei unterliegen. «Neues», «Unerhörtes» geschrieben zu haben, war zuweilen ein schwerer Vorwurf. Andererseits konnte in der gelehrten Gesellschaft ein solcher Vorwurf auch einem Ehrentitel gleichkommen, denn er zeigte nicht unbedingt, dass man falsch lag, sondern unter Umständen auch, dass man einen Schritt weitergekommen war.
Ein wichtiges Instrument für die Vermittlung philosophischer und theologischer Inhalte war das Lehrgespräch, mehr oder weniger angepasst an ein konkretes oder gedachtes Publikum. Viele Werke sind dementsprechend als Dialoge oder Lehrbriefe gestaltet.
Gebirge der Gelehrsamkeit
Mit den Werken mancher mittelalterlicher Autoren könnte man sich ein Leben lang befassen. Die Erläuterungen dazu füllen mehrbändige Handbücher. Hier seien nur einige Beispiele vorgestellt, um die Bandbreite zu skizzieren.
Das Werk des Johannes Scotus Eriugena († 877) – wie seine Beinamen sagen,
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