Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
plötzlich, sondern in einem Prozess, der etliche Jahre dauerte. Dann, 1206 oder 1207, vollzog er den öffentlichen Akt: Er legte sein weltliches (Ober-)Gewand ab und wurde mit der Stola des Bischofs «eingekleidet». Er wechselte damit öffentlich den Stand, wurde als Büßer so etwas wie ein anerkannter Kleriker und war damit nicht nur durch seine Herkunft in der eng vernetzten Gesellschaft von Assisi, sondern auch durch diese Zeremonie kirchlich einigermaßen geschützt. Von Papst Innocenz III. gewann seine Gruppe die Anerkennung. Der Papst hat wohl die Gelegenheit ergriffen, ein positives Exempel zu statuieren. Dass die Bewegung der «Franziskaner» wie eine Lawine anwachsen sollte, ahnte er nicht. Sie erfasste mit Clara di Bernardino und ihren Verwandten und Freundinnen auch die Frauen von Assisi. Das einzige Problem in der Folgezeit lag darin, dass Franz diese Bewegung kaum organisieren konnte bzw. wollte. Er starb 1226. Bis zur vollen Anerkennung des Ordens, den erst der Generalminister Bonaventura († 1274) einigermaßen in eine einheitliche Richtung lenkte, war es noch ein langer, steiniger Weg.
Wer Ketzer oder Häretiker ist, bestimmten die jeweils herrschenden kirchlichen und politischen Machthaber. Oft war die Entscheidung zwischen Anerkennung oder Verfolgung von Zufällen abhängig. Zumeist waren es weniger die theologischen Ungeschicklichkeiten, welche die oft ungeschulten Laienprediger begingen,sondern deren handfeste Kritik an den Zuständen im Klerus, die eine Verfolgung auslöste.
Aber in einem Fall kamen zwei Faktoren dazu, die zu einer veritablen Katastrophe führten. Die Lehre der Katharer – vom griechischen καθαρς, kathars, rein –, nach einem ihrer Zentren auch «Albigenser» genannt, beinhaltete Einflüsse einer dualistischen Form des Christentums, die seit der Antike abgeurteilt war und möglicherweise auf unbekanntem Weg von der Gruppe der Bogumilen am Balkan kam. Der Dualismus bedeutet, dass man an ein gutes und ein böses Prinzip glaubte und die Welt, wie sie war, als böse ansah. Das Alte Testament wurde abgelehnt, denn darin sei der «böse» Schöpfergott beschrieben.
Für viele wird der Weg in diese Gruppe ein Akt des Widerstandes gegen die Verweltlichung der kirchlichen Funktionsträger gewesen sein. Damit verbunden war aber auch der Widerstand des südfranzösischen Adels gegen das als fremd empfundene Königtum aus dem Norden. Dementsprechend grausam war die Verfolgung.
Im Massaker von Béziers 1209 wurden 20.000 Menschen getötet. Als man den päpstlichen Gesandten fragte, wie man die Ketzer von den Rechtgläubigen unterscheiden könne, soll er gesagt haben: «Tötet sie alle, Gott kennt die Seinen.» So erzählt es immerhin ein Ordenskollege des Gesandten, der Zisterzienser Caesarius von Heisterbach, eine Generation später (Dialogus V 21).
IV Die Stadt
A uch die Stadt ist, wie die Kirche, zuerst einmal eine Gemeinschaft von Menschen, die untereinander und mit ihrem politischen Umfeld durch ein bestimmtes Rechtssystem verbunden sind. Als solche ist die Stadt als Ganzes eine Rechtsperson, die sich von ihrem regionalen und sozialen Umfeld abhebt und ihre Eigenständigkeit – nicht zuletzt durch Mauern, Tore und Türme oder die Abbildungen davon auf Siegeln und Wappen – deutlich anzeigt.
Mauern, Tore und Türme
Die Mauer einer Stadt «birgt», wie die der Burg. Die Menschen innerhalb der Mauern sind demnach Bürger. Dementsprechend hießen in der fränkischen Dichtung Köln Kolnaburg und Rom Rûmuburg; auch Namen wie Salzburg und Regensburg gehen darauf zurück. Das Tor, in vielen Stadtwappen und Siegeln präsent, ist ein erlebbares Zeichen der rechtlichen und wirtschaftlichen Autonomie. Hier wird kontrolliert, wer aus- und eingehen darf, und wird Zoll erhoben.
Eine militärische Schutzfunktion hatte die Stadtmauer selten. Die Belagerung einer Stadt war wie die einer Burg zumeist eher eine Machtdemonstration. Sie wurde selten durch Heldentaten entschieden, sondern vielmehr durch die Erschöpfung der Lebensmittelvorräte oder durch ein Entsatzheer. Auch die von Autoren mit Eifer geschilderten Belagerungsmaschinen hatten vor allem demonstrativen Charakter. Ihre Grundformen gehen bis in die Antike zurück. Wurde eine Stadtmauer «geschleift», legte man nur ein Stück davon um, die komplette Zerstörung wäre zu mühsamgewesen. Aber die Bewohner verloren dadurch ihre Rechte als Bürger.
Abb. 22: Regensburg, Schedeische Weltchronik (1493), fol. 97v–98r; in
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