Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Dirnenhäuser, die kritisch betrachtet wurden.
Handel und Gewerbe
Bis zur Erschließung fossiler Brennstoffe im 18. Jahrhundert wurde der Transport zu Land mit Saumtieren und Fuhrwerken bewältigt. Bis zu einem Drittel der Agrarflächen wurde für die Ernährung dieser Tiere benötigt. Als das im 19. Jahrhundert zunehmend wegfiel, wurde der Grundstein für die rasante Bevölkerungsvermehrung gelegt, die die Industrialisierung erst möglich machte. In diesem Sinne war, wie der französische Historiker Jacques Le Goff schrieb, das Mittelalter erst mit der Erfindung der Eisenbahn zu Ende.
Zeit
Der jeweilige Sonnenstand genügte für eine agrarische Gesellschaft im Prinzip als Zeitmaß. Zur Messe riefen die Kirchenglocken. In den Städten war, z.B. für die Marktzeiten, eine genauere zeitliche Koordination notwendig, die seit dem 14. Jahrhundert, ausgehend von Italien, die Turmuhren ermöglichten. Der Handel brauchte einen detaillierteren Kalender, denn Zeit wurde Geld. Die Fristen in der Landwirtschaft wurden hingegen mit Heiligenfesten angegeben (S.177).
Geld
Der Geldfluss war seit der Spätantike stark zurückgegangen. Der in der Karolingerzeit eingeführte Silberpfennig besaß eine hohe Kaufkraft, erreichte aber kaum alle Regionen und betraf am wenigsten den kleinen Geldverkehr. Lesen wir in den Rechtsquellen von Geldsummen, können das auch Verrechnungseinheiten sein, die nicht unbedingt in Münze, sondern mit Gütern zu begleichen waren. Große Strafsummen waren oft reine Abschreckungsmaßnahmen. Sie hätten in solcher Höhe nie vollstreckt werdenkönnen. Das eigentliche Ausmaß der Sühneleistung war dann Verhandlungssache.
In zwei Handelsbereichen kam man auch in der Übergangszeit nicht ohne Geld aus: im Salz- und im Weinhandel. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kam mit den Städten auch das Münzwesen wieder in Schwung. Es entstanden als Leitwährungen der Florentiner Gulden und der venezianische Dukaten. Aber erst im 14. Jahrhundert wurden wieder verbreitet Goldmünzen geprägt, z.B. der rheinische Gulden. Noch lange wurde Geld in Edelmetall-Gewicht gemessen; man sprach im Mittelalter von einem oder mehreren «Pfund Pfennigen». Das englische «Pfund» ist heute noch ein Zeugnis dafür. Das am weitesten verbreitete Münzmetall blieb Silber.
Mit der Wiedereinrichtung von Umschlagplätzen für Güter des täglichen Bedarfs in Märkten und Städten wuchs der Bedarf an kleinen Münzen. Das Hoheitsrecht zur Prägung von Münzen, das Münzregal, beanspruchten die Könige, die geistlichen und die weltlichen Fürsten. Im Zweiten Mittelalter erhielten es auch Städte. Ab dem 13. Jahrhundert wurden die Naturalabgaben in Geld abgelöst. Das machte die Herren räumlich unabhängiger; sie mussten nicht mehr dort wohnen, wo die Abgaben erwirtschaftet wurden. Allerdings wurden sie vom Geldwert abhängig.
Mit der Wiedereinführung einer Geldwirtschaft entstanden zwei Problemfelder. Das eine war ein typisch mittelalterliches. Die Inhaber des Münzregals erlagen der Versuchung, immer schlechtere, d.h. im Material geringerwertige Münzen auszugeben, deren Geltung sie in ihrem Herrschaftsbereich erzwingen konnten. Das zweite Problem, das zum Teil auch mit dem ersten zusammenhängt, ist bis heute nicht lösbar: das der Inflation. So kam es, dass bei festen Zinswerten für manche Landbesitzer das Einkommen sukzessive sank, während die Lebens- und Repräsentationskosten, vor allem in den Städten, immer höher wurden.
Kreditwesen
Wegen des steigenden Geldbedarfs brauchte im Zweiten Mittelalter auch die Landwirtschaft ein Kreditwesen. So mancher Bauer versetzte im Frühjahr den Pflug, um ihn mit dem Erlös der Ernte wieder einzulösen. Selbst Richter versetzten ihre Standeszeichen, bis die Bezahlung durch den Gerichtsherrn endlich kam. Der Pfleger von Schloss Tirol oberhalb von Meran musste monatelang im Gasthaus anschreiben lassen, bis er den Lohn bekam und seine Schulden begleichen konnte.
Handel und Gewerbe brauchten vor allem Betriebsmittel-Kredite, z.B. zur Vorfinanzierung der Ware. Diese machen die bei weitem meisten Kreditgeschäfte aus. Entgegen den Klischees waren nicht nur Juden in diesem Bereich tätig. So mancher Christ ließ aber durchaus sein Geld bei Juden «arbeiten». Juden (vgl. auch S. 141 und 160) siedelten daher nicht nur in den Städten – dazu später –, sondern auch in kleineren Orten, und bekamen durch Kauf und Pfänder Grundbesitz in die Hand, obwohl das in manchen Judenordnungen
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