Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
über die dann Jahr für Jahr, je nach der landwirtschaftlichen Ertragslage, verhandelt wurde. Manchmal, wie etwa in der Phase, als sich die Habsburger in den österreichischen Territorien zu etablieren begannen, versuchte man, mit Hilfe solcher Aufzeichnungen eine möglichst genaue Vorstellung über die vorhandenen Rechte zu bekommen; wieweit sie dann durchsetzbar waren, war jeweils eine Frage von Macht und Politik.
Es gibt aus dem Mittelalter zahlreiche gefälschte Urkunden. Das kann zwei Gründe haben: Im Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit konnte es vorkommen, dass über einen Sachverhalt gar keine Aufzeichnungen existierten oder sie verloren gegangen waren. Das brachte die Betroffenen auf die Idee, eine Urkunde herzustellen, die den für ursprünglich gehaltenen Zustand repräsentierte und einer Autorität aus der Vergangenheit, z.B. einem Gründer, als Aussteller zugeschrieben wurde. Solche Fälschungen spiegeln also wider, was für wahr gehalten wurde, und wir sprechen dabei von formalen Fälschungen. Gleichwohl können unrichtige Informationen eingeflossen sein. Selbstverständlich gab es aber auch Fälschungen, die schlicht und einfach aus Gewinnstreben hergestellt wurden: Sie waren damals genauso verboten und verpönt wie heute.
Schließlich gibt es Fälschungen, oft ganze Urkundengruppen, mit deren Hilfe ein politischer Anspruch durchgesetzt werdensollte. Vielfach wurde ihr Fälschungscharakter schon von Zeitgenossen erkannt, aber sie wurden als Forderungskatalog weiterhin ernst genommen. Bischof Pilgrim von Passau († 991) versuchte auf diese Weise, zu dokumentieren, sein Bistum sei «immer schon» ein Erzbistum gewesen. Der Widerstand von Salzburger Seite war erfolgreich – und wurde sicherheitshalber noch durch eine Gegenfälschung unterstrichen.
Die Habsburger wurden in der sogenannten «Goldenen Bulle» von 1356, die eine Ordnung für die Wahl der römischdeutschen Könige enthält, nicht berücksichtigt: Sie wurden nicht Kurfürsten und waren somit nicht wahlberechtigt. Darauf antwortete Herzog Rudolf IV. († 1365) mit einer Fälschungsserie, eine Urkunde davon ist bekannt unter dem Namen «Privilegium Maius» (im Gegensatz zum echten «Privilegium Minus» von 1156). Dort wurde behauptet, sie hätten seit langem dieselben Vorrechte wie die Kurfürsten; sie seien «Erzherzoge». Am Hof Kaiser Karls IV. wurde das Manöver durchschaut, aber später machte der Habsburger Kaiser Friedrich III. († 1493) die Urkunden dennoch zu Reichsrecht, und der Erzherzogstitel wurde von den Habsburgern bis zum Ende der Monarchie geführt.
Die Kirche und die «Anderen»
Das Mittelalter ist nicht die Zeit, in der Europa christlich war, sondern in der es christlich wurde, und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. So sehr die Vertreter des Christentums, verstärkt durch das Medium der Schrift, behaupteten, der Welt den einzig gültigen Maßstab zu geben, so deutlich muss man auch sehen, dass es immer weite Bereiche des Lebens gab, die weder von der organisierten Kirche noch vom Geist des Christentums erfasst wurden.
Heiden
Es ist sehr schwierig, die Bedeutung vor- und außerchristlicher Religiosität für das Mittelalter einzuschätzen. Die frühen Nachrichten über eine Religion der «Barbaren» gehen durch den Verständnisfilter der Griechen und Römer, die sogenannte
interpretatio Graeca
bzw.
Romana.
Die Anfeindungen der christlichen Missionare und Prediger sind eben Polemiken und zeichnen sich nicht gerade durch ein tiefgehendes Verständnis oder gar eine Toleranz gegenüber anderen Religionen aus. Keltische Religionen kennen wir vor allem durch archäologische und bildliche Zeugnisse, germanische vor allem durch sehr späte Quellen, die in einer längst christlichen Kultur eine heroische Vorzeit imaginierten. Wir sprechen daher vorsichtig von «außerchristlichen» Elementen, ohne eine bestimmte Zuordnung zu versuchen.
Mission
Die Geschichte der christlichen Missionen ist vielschichtig und widersprüchlich. Die Ideen der jüdisch-christlichen Sondergruppe erfassten im Römerreich eine breite Mittelschicht, aber auch einzelne vornehme Familien, die gleichermaßen für andere Erlösungsreligionen und Mysterienkulte offen waren. Von den Mysterienkulten sind nördlich der Alpen unter anderem Mithras-, Dionysos- und Isiskulte archäologisch nachweisbar, die unter anderem von Angehörigen der römischen Armee gepflegt wurden.
Die Zeit der Verfolgung der Christen war auch eine
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