Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Problemfelder unterscheiden: Das eine sind die theologischen Irrtümer, oder was man als solche bezeichnete. Das zweite sind religiöse Bewegungen, die Teilen der kirchlichen Hierarchie als gefährlich erschienen. Das dritte ist die große Gruppe der Katharer, in deren Glauben auf verschlungenen Wegen außerchristliches Gedankengut aus dem Orient eingeflossen ist. Diese drei Problemfelder überschnitten sich in der Realität immer wieder.
Die Fallstricke für Theologen fanden sich hauptsächlich in folgenden Fragen: Eine betraf die Natur Christi, die in der Spätantike hinter der Auseinandersetzung mit den nach einem ihrer Theologen benannten Arianern stand. Es ging darum, ob Christus gottähnlich oder gottgleich sei. Der begriffliche Unterschied liegt im Griechischen nur in einem Jota (-i-), inoderhoms oder homoíos, gleich oder ähnlich. Eine zweite Frage bezog sich auf das Verständnis der Dreifaltigkeit, womit man auch heute noch Christen in Verlegenheit bringen könnte. Die dritte war die Frage des freien Willens, mit der sich besonders Augustinus im Streit mit den Anhängern des Pelagius († 420, daher Pelagianer) beschäftigte.
Ein schwieriges Feld stellte außerdem das Verständnis des Altarsakraments dar. Viele Menschen fassten die von der Kirche verkündete Realpräsenz (vgl. S. 175) Christi ganz materialistisch auf: Jesus sei in der Hostie anwesend. Daher habe er zu wirken, wo und wobei auch immer. Das führte manchmal zu seltsamen magischen Praktiken. Die Hostie wurde z.B. zum Liebeszauber verwendet und zur Abwehr von Schäden in den Acker eingegraben.
Aufregend in mehr als einem Wortsinn – auch weil die Auseinandersetzungen an moderne Konflikte erinnern – ist die Geschichtevieler religiöser – heute könnte man vielleicht sagen evangelikaler – Bewegungen, besonders im 12. und 13. Jahrhundert. Der Prozess der Verchristlichung einerseits und die zunehmenden Bildungschancen eines Teils der Bevölkerung auf der anderen Seite waren an einem Punkt angelangt, an dem für viele Menschen, besonders in den Städten, der Gegensatz zwischen den evangelischen Idealen und der Realität der kirchlichen Hierarchie schmerzhaft sichtbar wurde. Viele Funktionsträger der Kirche reagierten auf solche Bewegungen mit Misstrauen und Verfolgung, was umso leichter fiel, als manche Wanderprediger aufgrund ihrer Bildungsmängel angreifbare Inhalte verbreiteten. Hier sollen nur zwei Beispiele vorgestellt werden.
Der Kaufmann «Petrus» Waldes – der Vorname taucht erst später auf und ist vielleicht auch symbolisch gemeint – beauftragte um 1170 einen Priester, die lateinische Bibel in seine südfranzösische Sprache zu übersetzen; diese Übersetzung ist nicht mehr erhalten. Er betätigte sich karitativ, besonders während einer Hungersnot in den 70er Jahren und übertrug dann einen großen Teil des Vermögens seiner Frau, während seine Tochter dem Kloster Fontevrault anvertraut wurde. Sein Versuch, 1179 in Rom als Laie die Predigterlaubnis zu erlangen, wurde zunächst mit Hohn beantwortet, aber eine Zeit lang war ihm und seinen Gefolgsleuten in Lyon erlaubt, unter der Aufsicht des Erzbischofs zu predigen. Von der zeitgleich aufkommenden Katharer-Bewegung distanzierte er sich ausdrücklich. Unter dem Nachfolger jenes Bischofs kam es aber zum Konflikt, die Predigterlaubnis wurde entzogen und Waldes exkommuniziert. Auch Papst Innocenz III. reihte Waldes und seine Anhänger im 4. Laterankonzil 1215 unter die Häretiker ein. Die verfolgten «Armen von Lyon», die als Bettler lebten, verbreiteten sich aber über ganz Europa und verbündeten sich, z.B. in Norditalien, mit anderen Gruppen. Einige schlossen sich den Hussiten an, besonders den böhmischen Brüdern. Im 16. Jahrhundert wurden sie Teil der Reformationsbewegung. In Hessen und Württemberg gab esstarke Waldensergemeinden, die erst im 19. Jahrhundert in der lutherischen Landeskirche aufgingen. Andere Gruppen gingen nach Übersee. In Italien blühten die Gemeinden nach der Toleranz von 1848 wieder auf.
Eine andere Gruppe wurde hingegen von dem eben genannten Papst Innocenz III. geschützt. Pietro di Bernardone war ein reicher Tuchhändler zu Assisi, der sein Söhnchen Giovanni gerne zu seinen Geschäftsreisen nach Frankreich mitnahm und daher wohl Francesco nannte. Dieser wuchs mit dem Vermögen eines Kaufmannes und dem Selbstbewusstsein eines Adeligen auf und sein Kopf steckte voller Ritterromantik, die damals modisch war. Seine Umkehr geschah nicht
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