Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
«vergiftet».
Die grausamen Taten sind die Folgen von blanker Besitzgier, schrecklichen Ängsten vor Ereignissen, für die man die Ursachen nicht kannte und einen «Sündenbock» suchte, und des Misstrauens gegen «Andere». Das wurde von gewissenlosen Menschen ausgenutzt, darunter auch von Geistlichen – entgegen den Weisungen ihrer Obrigkeit und der theologische Lehre. Allerdings wird sich kein Jude zur Osterzeit freiwillig auf der Straße gezeigt haben, da man in der Osterliturgie für die Bekehrung der «verstockten» Juden in den Kirchen betet.
Schließlich ist eine weitere Personengruppe zu beachten, die in der städtischen Gesellschaft allgegenwärtig ist: die in fremde Haushalte eingebundene Dienerschaft. Hier haben sich feudale Prinzipien bis weit in die Neuzeit hinein erhalten. Das betrifft einerseits ihre eingeschränkte Rechtsstellung, die oft – wie bei Handwerksgesellen – ein Heiratsverbot einschloss, andererseits einen gewissen sozialen Schutz, wenn auch in Abhängigkeit. Wie im bäuerlichen Bereich gab es eine soziale Mobilität nach unten: Zweite und folgende Töchter und Söhne kamen in den Dienst. Umgekehrt ist auch die Rede davon, dass Witwen von Handwerkern talentierte Gesellen heirateten, um mit ihnen als Meister das Gewerbe weiterzuführen. Andere Formen der Mobilität nach oben sind fallweise durch besondere Talente bedingt, kaum durch Heiraten.
Der Adel und die Höfe der Feudalherren sorgten in der Stadt zwar für Umsatz, aber nicht für Steuern. Insofern ist auch das eine Sondergruppe, samt dem ganzen dazu gehörenden Personal im Haushalt. Manche Städte hatten sich unterhalb von Burgen entwickelt (vgl. S. 65). Dieser Typ kommt besonders häufig in den Dichtungen vor. Unter Umständen residierte dort später der Stadtrichter, der zunächst vom Stadtherrn bestellt wurde. Größere Fürstenhöfe beanspruchten ganze Stadtviertel. Unter fürstlichem Privileg konnten auch Gewerbe entstehen, die nicht den Zünften unterworfen waren. Jedenfalls aber stand der Münzmeister in fürstlichem Auftrag; manchmal war es ein reicher Jude.
In einer Bischofsstadt gab es, in der Regel um den Dom, noch die Häuser des Domkapitels, der Domherren. Das waren Kleriker, die in der bischöflichen Liturgie und Verwaltung eine bedeutende Rolle spielten und maßgeblichen Anteil an der Bischofswahl haben sollten – wenn dabei nicht, wie es oft geschah, massiver politischer Druck ausgeübt wurde. Die Domschule war ebenfalls eine kirchliche Einrichtung, die Lehrpersonen waren Kleriker. Das wurde auf die Universitäten übertragen, deren Personal ebenfalls die Privilegien von Klerikern hatte. Die Studenten standen als Fremde unter eigener, vom Fürsten privilegierter und von der Universität eingerichteter Gesetzgebung, was immer wieder zu Reibereien mit den Bürgern führte.
Bürger
Die städtische Oberschicht rekrutierte sich aus den wohlhabenden Kaufleuten und Handwerkern einerseits und aus den Ministerialen, wörtlich (adelig lebenden) Dienstleuten, und den Stadtherren andererseits. Vom 12. Jahrhundert an entwickelten sich Funktionen und Gremien zur politischen Mitbestimmung, Räte und Ratsversammlungen. Solche sind erstmals um 1200 in Basel, Straßburg, Worms und Lübeck nachweisbar. Das Wahlrecht war aber zunächst auf bestimmte patrizische Familien eingeschränkt. Abdem 14. Jahrhundert konnten, manchmal erst nach Aufständen, auch Handwerker Sitze im Rat erringen. Man kam zwei bis drei Mal in der Woche zusammen. Vertrauensperson des Rates war der Stadtschreiber, eine Art oberster Beamter und Notar, der oft auch die Stadtchronik führte.
Zu den Rechten, nach denen eine Stadt strebte, gehörten die Zollfreiheit und der Schutz für den Transport ihrer Versorgungsgüter sowie der Einfluss auf den Durchgangshandel auf den vorbeiführenden Straßen und Flüssen. Besonders vorteilhaft war also, von einer überregionalen Gewalt, die solche Rechte in der Hand hatte, protegiert zu werden.
Das Eigentumsrecht an Grund und Boden in der Stadt musste ebenfalls geregelt werden. Es stand zunächst dem Stadtherrn zu, der dafür Abgaben verlangte. Auch nachdem die Bürger das Eigentumsrecht errungen hatten, konnte es zu einer Trennung zwischen Eigentum und Nutzung kommen: Durch Schenkungen und Vermächtnisse kam viel Grund und Boden in die Hand geistlicher Institutionen, vor allem von Spitälern, die für die Nutzungsrechte entsprechenden Zins kassierten.
Wer Bürger sein wollte, musste an den kommunalen Aufgaben
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