Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
dritten Stockwerk erheben, haben die Wiener dennoch nicht weniger Bauten unter der Erde als über der Erde, in denen sie die Weine verwahren. Die Häuser der Adligen und Prälaten sind frei
[auch von Steuern],
und keiner der Amtsträger der Stadt hat in ihnen Befehlsgewalt. Der Boden der Straßen und Gassen ist mit festen Steinen gepflastert, so dass er nicht leicht durch die Räder der Fuhrwerke eingefurcht wird.
Das war noch nicht lange der Fall und auch nur auf den wichtigsten Verkehrswegen.
Weiter geht es über die allgemeine Lage der Stadt und die Kirchen, Klöster und Spitäler.
Auch darf man das Kloster des heiligen Hieronymus nicht verachten, in das ehemalige Prostituierte aufgenommen werden, die Tag und Nacht Hymnen in der heimatlichen Sprache singen.
Über die Universität hat er viel, aber nicht immer Schmeichelhaftes zu sagen.
Übrigens gehen die Studenten selbst eifrig dem Vergnügen nach, sind auf Wein und Speisen begierig, wenige erweisen sich als gelehrt, Tag und Nacht ziehen sie umher und bereiten den Bürgern großen Ärger. Sie kämpfen mit ihnen oft aus den geringsten Ursachen, greifen zu den Waffen und führen Schlachten wie in einem gerechten Krieg. Dazu reizt sie am häufigsten die Zudringlichkeit der Frauen, die sowohl den Freimut haben, zu sprechen, wann sie wollen, als auch zu gehen, wohin sie wollen, und sie sind nicht so keusch, wie sie schön sind.
Mit fünfzigtausend schätzt er die Zahl der Einwohner bei weitem zu hoch; man geht etwa von der Hälfte aus. Zur Verfassungwird bemerkt: Es gebe einen von einem bestimmten Kreis von Bürgern gewählten und vom Fürsten bestätigten Rat von 19 Männern, einen Richter und einen Bürgermeister. Gerichtet werde nach Gewohnheitsrecht, nicht nach geschriebenem.
Es ist unglaublich, wie viele Ladungen an Lebensmitteln täglich aus den umliegenden Kleinstädten und Dörfern in die Stadt kommen, Brote, Fische, gebackenes Fleisch, auch Eier und Krebse werden auf unzähligen Wagen auf den Markt gebracht.
Ausführlich wird die Weinwirtschaft geschildert; dabei ist die Rede von angeblich 1200 Pferden, aber nicht von den Arbeitern. Recht drastisch klingen die Schilderungen von nächtlichen Streitereien und von den Sitten in den Weinschänken. Die Wiener Bevölkerung kommt bei ihm nicht gut weg. Das mag an seiner Perspektive als Geistlicher liegen oder daran, dass sein damaliger Dienstherr, König (später Kaiser) Friedrich III. († 1493), den Wienern nicht besonders freundlich gegenüberstand.
Das Mittelalter der Bürger
In der im Mittelalter viel berufenen ideologischen Ständetrias der Beter, Kämpfer und (Land-)Arbeiter
(oratores, bellatores, laboratores)
kommen die Bürger nicht vor, obwohl es zu allen Zeiten in Europa Händler und Handwerker gegeben hat. Nur einmal, im «Guoten Gerhart» des Vorarlbergers Rudolf von Ems (um 1220, vgl. S. 86), wird bewusst die Figur eines Kölner Bürgers dem König als Vorbild präsentiert; man sagt, es stünde der Kölner Bürger Gerhard Unmaze († 1198) dahinter. Dessen Sohn steigt in den Adel auf, und adeliges Leben bot die kulturelle Orientierung für die städtische Oberschicht.
So mancher reich gewordene Bürger kaufte, baute oder renovierte eine Burg in der Nähe seiner Stadt, wie die Familie Vintler die «Bilderburg» in Runkelstein bei Bozen (S. 70f.). Sie wollten offenbar zeigen, dass sie sich eine ritterliche und adelige Repräsentationleisten konnten, im Gegensatz zu manchem «echten» Adeligen. Die Bilder an den Wänden der bürgerlichen Häuser waren die gleichen wie die in den Burgen.
Neidhart-Spiele waren eine höfische Angelegenheit, aber auch Bürger amüsierten sich damit auf Kosten von «Bauern», mit deren Gestalten man den Landadel karikierte. Man las Ritterromane und sammelte Ritterdichtung. Reiche Kaufleute finanzierten, besonders prächtig in Burgund, fürstliche Höfe, an denen ein künstliches Ritterbild inszeniert wurde.
Vielleicht ist die Erfindung des Sports eine genuin bürgerliche Kulturschöpfung. Wettbewerbe in körperlicher Geschicklichkeit und Kraft hat es immer gegeben und Sieger auch, die Ruhm und Geld davontrugen. Es genügte nicht mehr, aktuell der Beste zu sein, es wurde gemessen und gewogen, und man wachte peinlich genau über die Einhaltung der Regeln. Die systematische Übung in einer für den militärischen Ernstfall weitgehend nutzlosen Kunst wie in den Fechtschulen des späten Mittelalters, war indes etwas Neues, und wurde vom Hofe sogar geadelt.
Die
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